Die schon etwas ältere Entscheidung des 3. Zivilsenats des OLG Frankfurt am Main, der neben dem 7. Zivilsenat zuständig ist für das private Versicherungsrecht, ist nach der erstmaligen Veröffentlichung in zfs 2006, 577 f. zwischenzeitlich noch veröffentlicht worden in NJW-RR 2007, 538 f. und NZV 2007, 365 f. Der Beschluss kann nicht unwidersprochen bleiben, da ein ganz wesentlicher Aspekt nur unzureichend berücksichtigt worden ist.

1. Der Senat geht zunächst mit der einhelligen Auffassung davon aus, dass bei einem (im Streitfall zu bejahenden) Verstoß gegen § 142 StGB auch ein Verstoß gegen die versicherungsrechtliche Aufklärungsobliegenheit vorliegt. Hat sich der Versicherungsnehmer unerlaubt vom Unfallort entfernt, liegt immer auch eine Verletzung der Aufklärungspflicht i.S.v. § 7 I Abs. 2 S. 4 AKB vor. Die "Unfallflucht" stellt eine elementare, allgemein bestehende und jedermann bekannte Kraftfahrerpflicht dar. Durch § 142 StGB wird auch das Aufklärungsinteresse des Versicherers geschützt. Wird durch das Verlassen der Unfallstelle der objektive und der subjektive Tatbestand des § 142 StGB erfüllt, so liegt deshalb stets eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit in der Kaskoversicherung und in der Kfz-Haftpflichtversicherung vor (vgl. BGH VersR 2000, 222; OLG Oldenburg VersR 2004, 466, 467; OLG Hamm VersR 2000, 843 f.; OLG Köln VersR 1999, 963).

2. Der Senat unterstellt in seiner Entscheidung das Vorliegen einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung. Die Einschränkung des § 6 Abs. 3 S. 2 VVG gilt dann nicht. Als Korrektiv hat die Rspr. aber zur Vermeidung von Härten auf Grund der "Alles-oder-nichts-Regelung" die sog. Relevanzrechtsprechung entwickelt.

Danach ist der Versicherer bei nach Eintritt des Versicherungsfalls begangenen vorsätzlichen folgenlosen (vgl. BGH VersR 2004, 1117, 1118) Obliegenheitsverletzungen (nur) leistungsfrei (vgl. BGH VersR 1984, 228 und st. Rspr. sowie Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., Rn 51 ff. zu § 6 VVG m.w.N.), wenn

  • diese objektiv geeignet sind, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, wobei es ausschließlich auf die generelle Eignung ankommt, nicht auf die konkrete (vgl. BGH VersR 1998, 577 unter 4. mit Hinweis auf BGH VersR 1984, 228; OLG Hamm NJW-RR 2003, 979, 980; OLG Köln NJW-RR 2003, 391; Römer/Langheid, a.a.O., Rn 58 zu § 6 VVG) und
  • subjektiv den Versicherungsnehmer bzw. die versicherte Person erhebliches Verschulden trifft, was nur dann zu verneinen ist, wenn ein Verstoß vorliegt, der auch einem ansonsten ordentlichen Versicherungsnehmer angesichts der Umstände des Falles leicht unterlaufen kann und für den ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermag (so OLG Hamm MDR 2004, 149, 150 unter Hinweis auf BGH VersR 1984, 228; OLG Köln NJW-RR 2003, 391 unter Hinweis auf BGH VersR 1976, 383 und 1977, 1021), wofür die Beweislast den Versicherungsnehmer trifft (vgl. Römer/Langheid, a.a.O., Rn 82 zu § 6 VVG).

Der Senat meint, im vorliegenden Fall habe es sich "um eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung, die folgenlos geblieben ist" gehandelt. Dass die Obliegenheitsverletzung generell geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden und den Versicherungsnehmer in subjektiver Hinsicht erhebliches Verschulden traf, verneint er im Ergebnis. Ob dem zugestimmt werden kann, sei dahingestellt. Der Entscheidung kann aus einem anderen Grund nicht gefolgt werden. Der 3. Zivilsenat hat nämlich die Folgenlosigkeit der Obliegenheitsverletzung fälschlich bejaht.

Die Folgenlosigkeit der Obliegenheitsverletzung ist Grundvoraussetzung, um überhaupt eine Prüfung nach den Grundsätzen der Relevanzrechtsprechung vornehmen zu können. Das wird häufig übersehen, wie beispielhaft die Entscheidung des BGH vom 7.7.2004 (BGH zfs 2004, 462 f.) zeigt. Der Versicherungsnehmer war im dort entschiedenen Fall der Aufforderung des Versicherers zur postwendenden Übersendung der Fahrzeugschüssel nicht gefolgt. Das Berufungsgericht kam zu dem Ergebnis, dass der Versicherer leistungsfrei war, es ließ die Revision aber wegen der Frage des Umfangs der Belehrung des Versicherers zu. Der BGH hat klargestellt, dass es hierauf für die Entscheidung nicht ankam. Das Berufungsgericht hatte nämlich übersehen, dass die Relevanzrechtsprechung unter der Voraussetzung der Folgenlosigkeit der Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers steht, dem Versicherer also bei der Feststellung des Versicherungsfalles oder des Schadensumfanges keine Nachteile entstanden sein dürfen, wobei die Folgenlosigkeit vom Versicherungsnehmer darzulegen und zu beweisen ist (BGH a.a.O.).

Der 3. Zivilsenat des OLG Frankfurt am Main stellt in seinem Beschluss apodiktisch fest, es handele sich um eine folgenlos gebliebene Obliegenheitsverletzung. Eine nähere Auseinandersetzung mit den vom Versicherungsnehmer dazulegenden und zu beweisenden Voraussetzungen der Folgenlosigkeit lässt die Entscheidung vermissen. Es fehlt an der Folgenlosigkeit einer Obliegenheitsverletzung, wenn durch die Nachholung der Obliege...

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