Der BGH befasste sich zufälligerweise (BGH, Beschl. v. 24.12.2021 [sic!] – KRB 11/21, BeckRS 2021, 45306 [Vorsicht: die Passage zur Rücknahme ist nicht in NZKart 2022, 150 abgedruckt]) passend mit der Problematik: "Die Wirksamkeit der Rücknahme des Einspruchs richtet sich im Bußgeldverfahren gemäß § 71 Abs. 1 OWiG nach den § 411 Abs. 3 S. 2, § 303 S. 1 StPO. Wenn die Entscheidung über das Rechtsmittel aufgrund mündlicher Verhandlung stattzufinden hat, erlaubt § 303 S. 1 StPO dessen Zurücknahme nach Beginn der Hauptverhandlung nur mit Zustimmung des Gegners. Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache (§ 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 411 Abs. 1, § 243 Abs. 1 S. 1 StPO). Die Beschränkung des Rücknahmerechts nach § 303 S. 1 StPO wird dadurch endgültig für die Dauer des gesamten Verfahrens ausgelöst. Hieran ändert auch der Neubeginn der Hauptverhandlung nach Zurückverweisung durch das Rechtsbeschwerdegericht nichts; es gilt vielmehr der Grundsatz der Einheitlichkeit der Hauptverhandlung (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 16.6.1970 – 5 StR 602/69, BGHSt 23, 277, 278 [juris Rn 9]). Der für den Strafprozess maßgebende Gedanke, dass § 303 S. 1 StPO zwar nicht den "Schutz des Gegners" bezweckt, aber der materiellen Gerechtigkeit dient, indem er die einseitige Verfügung über das Rechtsmittel dem Beschwerdeführer entzieht, sobald die Hauptverhandlung einmal begonnen hat, gilt im Bußgeldverfahren gleichermaßen (§ 71 Abs. 1 OWiG)".

So könnte man also auf den berechtigten Gedanken kommen, der Verteidiger hätte hier nicht mehr ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft den Einspruch zurücknehmen können. Doch der vom BGH entschiedene Fall hatte die Besonderheit, dass die Staatsanwaltschaft nicht nach § 75 Abs. 2 OWiG mitgeteilt hatte, nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen zu wollen, sondern im Gegenteil hatte die Staatsanwaltschaft dort die Verhandlung gerade begehrt. Hier war allerdings das Gegenteil der Fall: die Staatsanwaltschaft wollte der Hauptverhandlung fernbleiben, sodass der Verteidiger jedenfalls in der Hauptverhandlung den Einspruch hätte zurücknehmen dürfen (oder ihn beschränken, vgl. OLG Hamm zfs 2015, 170), ohne dass die Staatsanwaltschaft hierüber zu befinden gehabt hätte. Dass jedoch für den Zeitraum zwischen zwei Hauptverhandlungsterminen diese freie Rücknahme nicht gelten soll, weil es ja gerade nicht "in der Hauptverhandlung" geschehen ist, stellte bereits das KG fest (NZV 2011, 314) und dies wird in der Kommentarliteratur auch bestätigt (BeckOK OWiG/Hettenbach OWiG § 75 Rn 9; Göhler/Seitz/Bauer OWiG § 75 Rn 8; KK-OWiG/Senge OWiG § 75 Rn 9).

Was folgt daraus? Wie bei einer übergangenen Beteiligung bei der Einstellung des Verfahrens nach § 47 OWiG (vgl. Krenberger/Krumm OWiG § 47 Rn 29) müsste der Staatsanwaltschaft hier eigentlich auch ein außerordentliches Recht zur Beschwerde nach § 304 StPO zustehen. Um das zu vermeiden, sollte der Verteidiger die Einspruchsrücknahme also stets vor der ersten Hauptverhandlung oder danach jedenfalls in der Hauptverhandlung erklären.

RAG Dr. Benjamin Krenberger, Landstuhl

zfs 1/2023, S. 52 - 53

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