[…] II.

Über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EGGVG hat, da er eine unter den weit zu fassenden, auch Maßnahmen der Justizbehörden auf dem Gebiet der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten umfassenden Begriff der Strafrechtspflege im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG fallende Angelegenheit betrifft (vgl. KK-StPO/Mayer, 8. Aufl., § 23 EGGVG Rn 45; Löwe-Rosenberg/Böttcher, StPO, 26. Aufl., § 23 EGGVG Rn 27), gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 EGGVG ein Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts und somit nach dessen Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2020 (E. 1. d)) dessen 1. Strafsenat zu entscheiden.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig, da dem Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG dessen Subsidiarität (§ 23 Abs. 3 EGGVG) entgegensteht. Nach dieser Vorschrift behält es, soweit die ordentlichen Gerichte bereits aufgrund anderer Vorschriften angerufen werden können, hierbei sein Bewenden. Dies bedeutet, dass die §§ 23 ff. EGGVG zurücktreten, wenn das Gesetz andere Rechtsbehelfe vorsieht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 23 EGGVG Rn 12 m.w.N.). Das ist hier der Fall, da mit dem durch § 62 OWiG eröffneten Rechtsbehelf eine abschließende Regelung getroffen worden ist.

Nach § 62 Abs. 1 S. 1 OWiG können gegen Anordnungen, Verfügungen und sonstige Maßnahmen, die von der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren getroffen werden, der Betroffene und andere Personen, gegen die sich die Maßnahme richtet, gerichtliche Entscheidung beantragen. Über den Antrag entscheidet gemäß § 62 Abs. 2 S. 1 OWiG das nach § 68 OWiG zuständige Gericht, mithin gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG das bei einem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zuständige Amtsgericht, in dessen Bezirk die Verwaltungsbehörde ihren Sitz hat. Mit dieser Regelung wurde in Anlehnung an § 23 EGGVG ein umfassender Rechtsbehelf gegen Maßnahmen der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren geschaffen und zugleich klargestellt, dass die richterliche Kontrolle insoweit ausnahmslos den Amtsgerichten zugewiesen ist (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 246; OLG Stuttgart NStZ-RR 2001, 179 f., juris Rn 5; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 17. Aufl., § 62 Rn 1; KK-OWiG/Kurz, 5. Aufl., § 62 Rn 1). Die §§ 23 ff. EGGVG gelten daher neben dieser speziellen Vorschrift nicht (vgl. OLG Frankfurt, a.a.O.; OLG Stuttgart, a.a.O.; Göhler/Seitz/Bauer, a.a.O., § 62 Rn 1a; KK-OWiG/Kurz, a.a.O., § 62 Rn 3).

Allerdings steht dem Betroffenen der Rechtsbehelf nach § 62 OWiG derzeit noch nicht offen, so dass die von der Generalstaatsanwaltschaft beantragte Verweisung der vorliegenden Sache an das Amtsgericht St. Ingbert in entsprechender Anwendung des § 17a Abs. 2 GVG nicht in Betracht kommt.

Anfechtbar sind nach § 62 Abs. 1 S. 1 OWiG nur Maßnahmen der "Verwaltungsbehörde" im Bußgeldverfahren. Der Begriff der Verwaltungsbehörde im Sinne des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist im funktionellen Sinne zu verstehen. Verwaltungsbehörde ist deshalb jede Stelle im Bereich der staatlichen, kommunalen und sonstigen öffentlich-rechtlichen Verwaltung, die aufgrund einer Rechtsnorm (vgl. § 36 OWiG) die Befugnis zur Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten und damit zum Erlass von Bußgeldbescheiden hat (vgl. Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, § 35 Rn 1; Göhler/Gürtler, a.a.O., Vor § 35 Rn 2; KK-OWiG/Lampe, a.a.O., § 35 Rn 1, 6). Maßgebend ist, ob die Verfolgungs- und Ahndungskompetenz durch ein Gesetz des Bundes oder der Länder auf eine Verwaltungsbehörde übertragen wurde (vgl. Rebmann/Roth/Herrmann, a.a.O.; KK-OWiG/Lampe, a.a.O.).

Die Stadt W., gegen deren ablehnenden Bescheid vom 30.7.2020 sich der Betroffene wendet, ist nicht Verwaltungsbehörde in diesem Sinne. Denn die Befugnis zum Erlass von Bußgeldbescheiden wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit steht ihr nicht zu. Zuständige Behörde für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach §§ 23, 24, 24a bis 24c StVG ist im Saarland vielmehr gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 des Straßenverkehrszuständigkeitsgesetzes vom 13.6.2001 (ABI S. 1430) das Landesverwaltungsamt. Dass der Stadt W. als Ortspolizeibehörde nach § 80 Abs. 4 S. 1 SPolG auf Antrag durch das Ministerium für Inneres und Sport die Befugnis übertragen worden ist, die Verkehrsüberwachung innerhalb geschlossener Ortschaften im Bereich des ruhenden Verkehrs (Halt- und Parkverstöße) und des fließenden Verkehrs (Überschreitung zulässiger Höchstgeschwindigkeiten und Nichtbefolgung von Lichtzeichenanlagen gemäß § 37 StVO) wahrzunehmen, ändert hieran nichts. Nach § 80 Abs. 4 S. 2 SPolG kann die Ortspolizeibehörde in diesen Fällen nämlich lediglich Ordnungswidrigkeiten erforschen und Verwarnungen nach § 56 OWiG erteilen, also gerade keine Bußgeldbescheide erlassen. Wird das Verwarnungsgeld nicht gezahlt oder handelt es sich um eine bedeutende Ordnungswidrigkeit, die im Bußgeldverfahren zu ahnden ist, hat die Ortspolizeibehörde das Verfahren nach Abschluss der Ermittlungen zur weiteren Bearbeitung an die Zentrale Bußgeldbehörde abzugeben (vgl. Ziffer...

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