"…"

[2] Im Rahmen der bei einem Verkehrsunfall zweier Kfz erforderlichen Abwägung gem. § 171 StVG ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Abs. 1 u. 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (vgl. BGH NJW 1936, 1405 = NZV 1996, 231).

[3] Hier hat das LG nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme festgestellt, dass beide Fahrer der beteiligten Unfallfahrzeuge gegen das Gebot zur Rücksichtnahme (§ 1 Abs. 1 StVO) verstoßen haben. Denn sie haben sich, als sie in der Engstelle mit ihren Fahrzeugen nebeneinander standen, zwar unstreitig ausgetauscht; allerdings nicht darüber, wie sie angesichts der Straßensituation, die das gleichzeitige Passieren unmöglich machte, die Situation auflösen wollen.

[4] Dies findet die Billigung des Senats. Denn wenn eine Engstelle vorliegt, die das gleichzeitige Passieren nicht möglich macht, dann muss eine Verständigung der beteiligten Fahrzeugführer darüber stattfinden, wer die Fahrt fortsetzen soll (vgl. OLG Hamm NJW-RR 2016, 1363 [1364]). Dies ist hier unstreitig nicht geschehen.

[5] Der Fahrerin des kl. Fahrzeugs hat zudem den durch das Zeichen 208 angeordneten Vorrang des gegnerischen Unfallfahrzeugs in der Kurve nicht beachtet. Dafür ist es ohne Bedeutung, ob die Kl. das Fahrzeug des Unfallgegners zum Zeitpunkt des Passierens der auf der rechten Seite eingerichteten Haltebucht gesehen hat. Der Sachverständige Dipl.-Ing. H kommt in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten zwar zu der Feststellung, es sei “denkbar', dass durch den an der Unfallstelle vorhandenen Baumbewuchs eine Erkennbarkeit des entgegenkommenden Fahrzeugs nicht gegeben war. Hierin erschöpft sich jedoch der Regelungsgehalt des Zeichens 208 nicht. Er räumt dem entgegengerichteten Verkehr, hier also dem Fahrzeug des Bekl. zu 2, den Vorrang ein. Da die dort befindlichen Baume die Sicht auf den entgegenkommenden Fahrzeugverkehr zwar behindern, aber nicht völlig beseitigten, hätte die Fahrerin des kl. Fahrzeugs durch Anpassung ihrer Geschwindigkeit vor Einfahren in den Kurvenbereich sicherstellen müssen, dass ihr kein vorrangiges Fahrzeug entgegenkommt. Die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs, die Zeugin W, hat angegeben, dass sie den entgegenkommenden Verkehr wegen der Büsche und aufgrund der Fahrzeugfarbe schlecht habe erkennen können. Zu ihrer Geschwindigkeit hat sie angegeben, sie sei 40–50 km/h gefahren. Dies überschreitet angesichts der Anforderung des Verkehrszeichens 208 und der in der Kurve vorhandenen Bewuchssituation die angemessene Geschwindigkeit. Damit hat die Fahrerin des kl. Fahrzeugs zudem die Pflicht zum Fahren mit angepasster Geschwindigkeit (§ 3 Abs. 1 S. 2 StVO) verletzt.

[6] Des Weiteren fällt dem Kl. auch eine erhöhte Betriebsgefahr zu Last. Denn auch wenn die Zeugin W das Fahrzeug des Bekl. vor Einfahren in die Engstelle nicht erkannt haben mag, oblag es ihr doch, spätestens in dem Moment, als sie das unfallgegnerische Fahrzeug wahrnahm, rechtzeitig anzuhalten und ggf. zurückzusetzen. Dafür streitet nicht nur der durch das Verkehrszeichen angeordnete Vorrang des Unfallgegners, sondern auch die im Vergleich zum Unfallgegner deutlich geringere Wegstrecke bis zur Haltebucht.

[7] Bereits dies rechtfertigt eine Mithaftung des Kl. am Unfall von mindestens 70 %. …“

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