Schon vor der Verabschiedung des VVG ist streitig gewesen, ob nach der Aufgabe des Alles-oder-Nichts-Prinzips auch in Fällen der groben Fahrlässigkeit ein Entschädigungsanspruch ganz versagt werden darf. Das ist vor allem für den Bereich der Kraftfahrtversicherung von Bedeutung, wenn der Versicherungsfall auf eine erhebliche Alkoholisierung des Versicherungsnehmers zurückzuführen ist, oder wenn eine Verletzung von Obliegenheiten vor dem Versicherungsfall (Fahruntüchtigkeit) mit einer nach ihm (Falsche Angaben zum Unfallhergang) zusammentrifft. In einem solchen Fall denkbaren schwersten oder kumulierten Verschuldens ist eine Kürzung der Entschädigung auf Null ohne Weiteres zulässig.

Die dies ablehnende Meinung[5] führte ins Feld, dass der Regierungsentwurf in § 28 VVG-E formuliert hatte, der Versicherer sei "nur" bei Vorsatz leistungsfrei. Dieses "nur" hat der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages gestrichen, nachdem in der Anhörung der Sachverständigen[6] genau auf dieses Problem aufmerksam gemacht worden war. Folglich handelt es sich um den seltenen Fall einer klaren Dokumentation des Willens des Gesetzgebers, dass auch in den Fällen einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles oder einer grobfahrlässigen Verletzung von Obliegenheiten eine Entschädigung vollständig entfallen kann.[7] Dem widerspricht der Wortlaut des Gesetzes nicht.

Wenn der Versicherer seine Leistung je nach der Schwere des Verschuldens kürzen darf, so heißt das nicht, dass eine Mindestleistung erhalten bleiben muss. Die Nullquote wird allerdings auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Dass, bedauerlicherweise, Versicherungsnehmer Verkehrsunfälle nicht nur atypischerweise in einem Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit verursachen, spricht nicht dagegen, ihnen (allen) gerade dann auch eine Kaskoentschädigung zu versagen oder von einem grundsätzlich vollen Regress auszugehen. Denn der Ausnahmefall ist nicht quantitativ zu bestimmen sondern qualitativ: Nicht die Zahl der so entstandenen Versicherungsfälle muss besonders gering sein sondern das Maß des schweren Verschuldens besonders hoch. Davon abgesehen siedeln gerade die Fälle absoluter Fahruntüchtigkeit nahezu stets im Grenzgebiet zwischen grober Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz. Und schließlich wäre kaum zu erklären, wieso ein Versicherungsnehmer für die Verursachung eines Versicherungsfalls bestraft und als ungeeignet zum Umgang mit dem Risiko betrachtet werden muss, gleichzeitig aber einen Teil des ihm selbst zuzurechnenden Schadens, also der Verwirklichung des Risikos, von der Versichertengemeinschaft erhält.

[5] Marlow/Spuhl, a.a.O., S. 94/95, mit weiteren Argumenten.
[7] So auch Looschelders, VersR 2008,1,6; Burmann/Heß/Höke, Das neue VVG im Straßenverkehrsrecht, 2008, S. 115.

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