GG Art. 103 Abs. 2; OWiG §§ 79 Abs. 1 2, 80 Abs. 1 Nr. 1; StVG § 24; StVO §§ 23 Abs. 1a 1; 49 Abs. 1 Nr. 22

Leitsatz

Eine Verurteilung wegen unerlaubter Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons scheidet aus, wenn der Betroffene gar kein Mobiltelefon oder den Hörer eines Autotelefons sondern ein anderes Gerät aufnimmt oder hält, wobei es gleichgültig ist, ob mit der Aufnahme des anderen Geräts, etwa einer Freisprecheinrichtung, letztlich gerade die funktionsspezifische Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons bewirkt werden soll oder tatsächlich realisiert wird. Nach dem möglichen Wortsinn der Norm verbietet sich auch eine Auslegung dahin, die Freisprecheinrichtung lediglich als (unselbständigen) Funktionsteil des Mobil- oder Autotelefons aufzufassen.

(Leitsatz des Einsenders)

OLG Bamberg, Beschl. v. 5.11.2007 - 3 Ss OWi 744/07

Sachverhalt

Das AG hat den Betr. wegen vorsätzlicher unerlaubter Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons (§ 23 Abs. 1a StVO) zu einer Geldbuße verurteilt. Nach der seitens des Tatgerichts als glaubhaft angesehenen Einlassung des Betr. befuhr dieser mit einem Pkw die Innenstadt, wobei er neben seinem eingeschalteten Mobiltelefon auch eine zu diesem in Funkverbindung stehende und zunächst an der Sonnenblende der Fahrerposition angebrachte Freisprecheinrichtung mit sich führte. Als während der Fahrt das abgelegte Mobiltelefon läutete, nahm der Betr. das Gespräch über die fixierte Freisprecheinrichtung an. Nach einer Funktionsstörung nahm der Betr. anlässlich eines verkehrsbedingten Halts vor einer Rotlicht anzeigenden Lichtzeichenanlage bei eingeschaltetem Motor die Freisprecheinrichtung in die Hand, hielt sie mit der linken Hand an sein linkes Ohr und telefonierte mit dem Gerät kurzzeitig. Nach Auffassung des AG erfüllte dieses Verhalten den Tatbestand des § 23 Abs. 1a StVO, weil es sich bei der Freisprecheinrichtung "entweder um ein (Funktions-) Teil des ( … ) Mobiltelefons oder selbst um ein Mobiltelefon i.S.d. Gesetzes" handele, was sich auch daraus ergebe, dass "der Betr. quasi das Handy durch die Freisprecheinrichtung ersetzte und damit telefonierte und die beiden Geräte ( … ) mittels Funkwellen eine Verbindung zueinander hatten". Schließlich entspreche diese Sicht auch dem Sinn und Zweck der Bußgeldbewehrung, weil es insoweit keinen Unterschied mache, ob der Betr. zur Annahme eines Gesprächs das Handy selbst oder aber die in diesem Moment "als Ersatz dienende und verbundene" Freisprecheinrichtung zur Hand nehme. Die hierdurch ausgehenden Gefahren seien gleich.

Mit seiner gegen die Verurteilung gerichteten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragte, rügte der Betr. die Verletzung materiellen Rechts. Die vom Einzelrichter gem. §§ 79 Abs. 1 2, 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zugelassene und zur Entscheidung dem Bußgeldsenat des OLG in der Besetzung mit drei Richtern übertragene Rechtsbeschwerde führte zum Freispruch des Betr..

Aus den Gründen

“ … Die dem Schuldspruch zugrunde liegende Rechtsauffassung und Normauslegung des AG ist mit dem möglichen Wortsinn der Bußgeldbewehrung des § 23 Abs. 1a StVO (vgl. rechtsgrundsätzlich Senatsbeschluss v. 27.9.2006 – 3 Ss OWi 1050/06 = NJW 2006, 3732/3733 f. = NZV 2007, 49 f. = DAR 2007, 95 f. = VerkMitt 2007, Nr. 12 = OLGSt StVO § 23 Nr. 5 = VRR 2006, 431 f. und zuletzt Senatsbeschl. v. 27.4.2007 – 3 Ss OWi 452/07 = VerkMitt 2007, Nr. 62 = OLGSt StVO § 23 Nr. 7, jeweils m. zahl. weit. Nachw.) nicht vereinbar.

1. Als spezielles Willkürverbot des Grundgesetzes für die Strafgerichtsbarkeit verpflichtet Art. 103 Abs. 2 GG, der auch für Bußgeldtatbestände gilt (BVerfGE 71, 108/114; 87, 363/391; BVerfG NJW 2005, 349 [= zfs 2005, 149]), den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau zu umschreiben, dass sich Tragweite und Anwendungsbereich des jeweiligen Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestandes durch Auslegung ermitteln lassen. Art. 103 Abs. 2 GG enthält insoweit einen strengen Gesetzesvorbehalt. Die hiernach gebotene Bestimmtheit des Tatbestandes schließt allerdings die Verwendung von Begriffen nicht aus, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter bedürfen. Denn auch im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht muss der Gesetzgeber der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung tragen. Es liegt deshalb in der Natur der Sache, dass in Grenzfällen durchaus zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten schon oder noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt. Für den Normadressaten muss dann – jedenfalls im Regelfall – wenigstens das Risiko einer Bestrafung bzw. einer ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ahndung voraussehbar sein. Unter diesem Aspekt ist für die Bestimmtheit der Straf- oder Bußgeldbewehrung in erster Linie der erkennbare und verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes, also die Sicht des Bürgers maßgebend (st.Rspr.; vgl. z.B. BVerfGE 64, 389/393 f.; 71, 108/114 ff.; 87, 209/224; 105, 135/152 f.; BVerfG NJW 1998, 2589/2590 und BVerfG NJW 2005, 349, jeweils m.w.N.).

2. Nach den §§ 49 Abs. 1 Nr. 22 i.V.m. 23 Abs. 1a S. 1 StVO handelt ordnungswidrig ...

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