Leitsatz

Gegenstand des Verfahrens war das Zeugnisverweigerungsrecht eines minderjährigen Kindes, gegen dessen Vater ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Kindes eingeleitet worden war. Die für das Kind allein sorgeberechtigte Mutter war mit dem Beschuldigten verheiratet.

 

Sachverhalt

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hatte das FamG mit Beschluss vom 4.2.2010 für das Kind C. B., geboren am 09.08.1997, Ergänzungspflegschaft angeordnet und das Stadtjugendamt zum Ergänzungspfleger bestellt. In seiner Entscheidung verwies das FamG darauf, dass die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den Vater wegen des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Kindes führe, dessen allein sorgeberechtigte Mutter mit dem Beschuldigten verheiratet sei.

Da dem Kind ein Zeugnisverweigerungsrecht im Ermittlungsverfahren gegen den Ehemann seiner Mutter zustehe, sei in analoger Anwendung des § 52 Abs. 2 S. 2 StPO ein Ergänzungspfleger mit den aufgeführten Wirkungskreisen zu bestellen.

Gegen diesen Beschluss hat die Kindesmutter Beschwerde eingelegt und ihr Rechtsmittel damit begründet, die Anordnung der Ergänzungspflegschaft könne nicht auf § 52 Abs. 2 S. 1 StPO gestützt werden, da diese Vorschrift den vorliegenden Sachverhalt nicht erfasse und auch einer analogen Anwendung nicht zugänglich sei.

 

Entscheidung

Die Beschwerde der Kindesmutter erwies sich als zulässig und auch als begründet. Nach Auffassung des OLG lagen die Voraussetzungen für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft nicht vor.

Eine Ergänzungspflegschaft für Minderjährige könne nur angeordnet werden, soweit der Inhaber der elterlichen Sorge an deren Ausübung tatsächlich oder rechtlich verhindert sei (§ 1909 Abs. 1 BGB).

Diese Voraussetzungen lagen nach Auffassung des OLG hier nicht vor. Sie könnten auch nicht aus § 52 Abs. 2 StPO hergeleitet werden. Diese Vorschrift regele den Fall der rechtlichen Verhinderung, wenn der aussagebereite minderjährige Zeuge keine genügende Vorstellung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts habe und deshalb die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zur Vernehmung erforderlich sei.

Dem Kind stehe ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO zu.

Die Entscheidung darüber, ob der minderjährige Zeuge schon die nötige Verstandesreife besitze, um die Bedeutung und Tragweite eines Zeugnisverweigerungsrechts zu erfassen, sei vom Strafrichter bzw. im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft zu treffen. Das FamG sei insoweit an die Entscheidung der vernehmenden Stelle über die Frage der Verstandesreife des minderjährigen Zeugen gebunden (BayObLGZ 1997, 249).

Die Staatsanwaltschaft habe mit ihrem Antrag auf Anordnung einer Ergänzungspflegschaft zum Ausdruck gebracht, dass sie die erforderliche Verstandesreife des Kindes für die Entscheidung über die Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts verneine. Daran sei auch das OLG gebunden.

Entgegen der Auffassung des FamG liege jedoch keine rechtliche Verhinderung der Beschwerdeführerin i.S.d. § 52 Abs. 2 S. 2 StPO vor. Nach dieser Bestimmung könne der gesetzliche Vertreter über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts des Minderjährigen nicht entscheiden, wenn er selbst Beschuldigter sei. Das Gleiche gelte für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Elternteilen zustehe. Dieses Tatbestandsmerkmal sei jedoch nicht erfüllt, da der Beschwerdeführerin die alleinige elterliche Sorge und damit allein die gesetzliche Vertretung des Kindes zustehe.

Umstritten sei allerdings, ob die Vorschrift des § 52 Abs. 2 S. 2 StPO auf einen solchen Sachverhalt entsprechend angewendet werden könne. Eine Entscheidung des BGH hierzu stehe aus.

Überwiegend werde eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf die vorliegende Fallgestaltung abgelehnt (LG Berlin, FamRZ 2004, 905; Schweckendieck: "Eine Gesetzeslücke in § 52 Abs. 2 S. 2 StPO?", NStZ 2008, 537).

Dies werde mit dem eindeutigen Wortlaut des § 52 Abs. 2 S. 3 StPO begründet.

Das OLG schloss sich der vorherrschenden Meinung an und vertrat die Auffassung, dass im vorliegenden Fall eine auszufüllende "Regelungslücke" nicht bestehe. Eine rechtliche Verhinderung der Beschwerdeführerin, der die alleinige elterliche Sorge für das Kind zustehe, sei nicht gegeben, so dass eine Ergänzungspflegschaft ohne vorherigen teilweisen Eingriff in das Recht der elterlichen Sorge nicht hätte angeordnet werden dürfen. Der Beschluss des FamG vom 4.2.2010 sei daher aufzuheben und der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der Ergänzungspflegschaft zurückzuweisen.

 

Link zur Entscheidung

OLG Nürnberg, Beschluss vom 15.04.2010, 9 UF 353/10

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