Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs wird in vielen Fällen dazu führen, dass die Erteilung nationaler Erbzeugnisse in Erbfällen mit Auslandsberührung faktisch nicht mehr in Betracht kommt. Es führt dann kein Weg an dem (komplizierten und aufwändigen) Europäischen Nachlasszeugnis[15] mehr vorbei. Das Urteil stärkt somit das Europäische Nachlasszeugnis und schwächt die nationalen Erbzeugnisse. Dieses Ergebnis mag dem Anwendungsvorrang des Europarechts entsprechen; es widerspricht allerdings der Europäischen Erbrechtsverordnung insoweit, als diese von einem gleichwertigen Nebeneinander von Europäischen Nachlasszeugnis und nationalen Erbzeugnissen ausgeht (siehe Art. 62 Abs. 3 EuErbVO und Erwägungsgrund Nr. 67).
Im Ausgangsfall Oberle müssen die Erben den (deutschen) Erbschein und das Europäisches Nachlasszeugnis jeweils in Frankreich (vor einem französischen Gericht und in französischer Sprache) beantragen. Bei Erben, die (anders als der Erblasser) selbst nicht in Frankreich ansässig und/oder der französischen Sprache nicht mächtig sind, führt dies zu einer erheblichen Erschwerung der Nachlassabwicklung. Mit dem Ziel der Europäischen Erbrechtsverordnung, eine "zügige, unkomplizierte und effiziente" Abwicklung von grenzüberschreitenden Erbfällen zu ermöglichen, lässt sich dies kaum vereinbaren.
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