In der Praxis dürfte (anders als im Ausgangsfall Oberle) der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers keineswegs immer zweifelsfrei feststehen. Der europäische Verordnungsgeber geht selbst davon aus, dass sich die Ermittlung des letzten gewöhnlichen Aufenthalts als "komplex" erweisen kann (siehe Erwägungsgrund Nr. 24). Maßgebend ist stets eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls.[14]

In Zukunft sollte der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers vor Stellung eines Erbscheinantrags stets sorgfältig ermittelt werden. Möglicherweise lassen sich im Einzelfall familiäre, wirtschaftliche, berufliche, soziale oder sonstige Anhaltspunkte finden, die auf einen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hindeuten. Diese gilt es gegebenenfalls sorgfältig zu dokumentieren.

Den Angaben in dem Erbscheinantrag zum letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers kommt erhebliche Bedeutung zu.

Letzter Aufenthalt in Deutschland: Die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts ist regelmäßig nur dann gegeben, wenn der letzte gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland war. Entsprechende (rechtliche und tatsächliche) Indizien sind daher zu ermitteln und in dem Erbscheinantrag entsprechend anzugeben (und nachzuweisen). Es gilt vor allem zu prüfen, ob ein etwaiger "Aufenthalt" des Erblassers im Ausland tatsächlich ein gewöhnlicher Aufenthalt war (oder möglicherwiese nur ein schlichter Aufenthalt ohne entsprechende Bindungen, siehe auch die Erwägungsgründe Nr. 23 und 24 der EuErbVO).
Letzter Aufenthalt außerhalb Deutschlands: Bei einem Erblasser mit (tatsächlichem) letzten gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb Deutschlands sind die Gerichte in Deutschland nicht bzw. nur ausnahmsweise zuständig (und möglicherweise nur beschränkt). Unter Umständen scheitert die Erteilung eines deutschen Erbscheins dann ganz: die deutschen Gerichte sind nicht zuständig und die ausländischen Gerichte verfügen über keine entsprechenden Verfahrensregeln.
[14] Zum Begriff des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers siehe u. a. KG Berlin, Beschluss vom 26.4.2016, 1 AR 8/16, IPrax 2016, 1203 mit Anm. Mankowski = ZEV 2016, 514 mit Anm. Lehmann = Rpfleger 2016, 654 = IPrax 2018, 72 (gewöhnlicher Aufenthalt eines Grenzpendlers zwischen Deutschland und Polen). Ausführlich dazu Lehmann/Hahn, ZEV 2017, 598; Martiny, IPrax 2018, 29. – OLG Hamm, Beschluss vom 2.1.2018, I 10 W 35/17, ZEV 2018, 343 = NJW 2018, 2061 (zum gewöhnlichen Aufenthalt in einem deutsch-spanischen Erbfall). Ausführlich dazu Steinmetz, ZEV 2018, 317. – Grundlegend zum Ganzen Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff? Eine Untersuchung zu Domicile und gewöhnlichem Aufenthalt im Lichte der EU-Erbrechtsverordnung, Tübingen 2014.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge