I. Allgemeines

Die Gestaltungspraxis hat als alternative Lösung zum Vor- und Nacherbenmodell die sog. Vermächtnislösung entwickelt.[1] Danach wird der behinderte Angehörige nicht als Mit-/Vorerbe, sondern neben einem oder mehreren anderen Mit-/Erben als Vermächtnisnehmer mit einem Erwerb von Todes wegen, der mindestens in Höhe seiner Pflichtteilsquote liegt, eingesetzt. Das Vermächtnis ist dabei als Vorvermächtnis ausgestaltet und soll mit dem Tod des Behinderten gem. § 2191 Abs. 1 BGB an den oder die Nachvermächtnisnehmer (regelmäßig personenidentisch mit dem oder den Mit-/Erben) fallen, wobei der Erwerb von Todes wegen des Behinderten wie beim Vorerbenmodell gem. § 2209 BGB unter Dauertestamentsvollstreckung gestellt wird.

Das Vermächtnismodell ist nicht unumstritten. Es liefert zwar gewisse Abwicklungserleichterungen für die Beteiligten, birgt aber auch Schwächen. Höchstrichterliche Rechtsprechung existiert zum Behindertentestament in der Vermächtnislösung bis dato nicht. Als gesichert gelten dürfte dennoch, dass es dem Sozialleistungsträger mit derselben Argumentation wie schon bei § 2306 Abs. 1 BGB verwehrt ist, das Vermächtnis nach § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB auszuschlagen.[2] Solange der Vermächtnisanspruch mindestens in gleicher Höhe liegt wie der Pflichtteilsanspruch darf auch der gesetzliche Vertreter des Behinderten die Ausschlagung nicht erklären. Eine Überleitungsmöglichkeit scheidet damit aus. Schwierigkeiten liefert allerdings das Rangverhältnis der Kostenersatzpflicht des Erben gem. § 102 SGB XII und des schuldrechtlichen Anspruchs des Nachvermächtnisnehmers auf Erfüllung gem. §§ 2191 Abs. 1, 2174 BGB. Der Anspruch des Nachvermächtnisnehmers auf Erfüllung des Vermächtnisses fällt beim Tod des Vorvermächtnisnehmers in dessen in der Regel wegen der Ansprüche des Sozialleistungsträgers überschuldeten Nachlass. Sofern die Ansprüche auf Kostenerstattung vom Erben vorrangig bedient werden müssten, würde der Erwerb von Todes wegen spätestens beim Tod des Behinderten dem Zugriff des Sozialleistungsträgers unterliegen. Auch diese Frage ist höchstrichterlich bislang nicht geklärt. Während eine Mindermeinung in der Literatur von einer Gleichrangigkeit der Forderungen ausgeht und das Vorvermächtnis anteilig zwischen Nachvermächtnisnehmer und Sozialleistungsträger aufteilen will,[3] geht die h.M. davon aus, dass dem Sozialleistungsträger eine Zugriffsmöglichkeit verwehrt ist. Als Argument wird unter anderem angeführt, dass im Rahmen des § 102 SGB XII zwischen Erblasser- und Erbfallschuld zu differenzieren sei. Der Nachvermächtnisanspruch, der den behinderten Vorvermächtnisnehmer schon zu dessen Lebzeiten belastet habe, sei bereits nach dem Wortlaut des § 102 SGB XII vorrangig. Immerhin würde die Vorschrift in § 102 Abs. 2 S. 2 SGB XII auf den Zeitpunkt des Erbfalls abstellen.[4] Die Diskussion hat unlängst neue Fahrt aufgenommen.[5] Mit Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes[6] wurden Eingliederungshilfeleistungen Teil 2 Kap. 9 SGB IX unterstellt, wobei dort keine Kostenersatzpflicht des Erben wie in § 102 SGB XII vorgesehen ist. Das reduziert die Haftungsgefahr für den Erben des Behinderten unabhängig vom Konkurrenzverhältnis der Ansprüche infolge des nun reduzierten Umfangs zusätzlich.[7]

[1] Spall, MittBayNot 2001, 249 ff.; Damrau, ZEV 1998, 1, 2 f.
[2] LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 23.1.2012 – L 20 SO 565/11 B, ZEV 2012, 273, 275; Teerstegen, Formularbuch Erbrecht, Kap. F. I. 3.
[3] Damrau, ZEV 1998, 1, 3.
[4] Baltzer, ZEV 2008, 116, 119; Hartmann, ZEV 2001, 89, 93; Horn/Bienert, Anwaltsformulare Testamente § 21 Rn 58; Ruby/Schindler, Behindertentestament, S. 51 Rn 85.
[5] Schneider, ZEV 2019, 453, 455 f.; Weidlich, ZEV 2020, 136, 141.
[6] BGBl I 2016, S. 3234.
[7] Schneider, ZEV 2019, 453, 455 f.; Weidlich, ZEV 2020, 136, 141.

II. Zivilrechtliche Aspekte

1. Vor- und Nachvermächtnis

a) Position des Vorvermächtnisnehmers

Der von Todes wegen begünstigte, behinderte Angehörige erhält nach der Vermächtnislösung ein Vorvermächtnis am Nachlass, das zumindest der Höhe nach seinem Pflichtteil entsprechen muss.[8] Der Behinderte wird damit gerade nicht Gesamtrechtsnachfolger gem. § 1922 BGB und auch nicht Mitglied einer Erbengemeinschaft. Stattdessen erhält er einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Nachlass auf Erfüllung des Vermächtnisses, §§ 2147 S. 1, 2174 BGB. Das Vermächtnis ist als Vorvermächtnis ausgestaltet, wobei das Nachvermächtnis mit dem Tod des Vorvermächtnisnehmers anfällt, § 2191 BGB.

Nach § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Vermächtnisnehmer das Vermächtnis ausschlagen und den (unbelasteten) Pflichtteil verlangen. Nimmt er das Vermächtnis hingegen an, erhält er den Pflichtteil nur in der Höhe, in der sein Anspruch hinter dem Vermächtnis zurückbleibt, § 2307 Abs. 1 S. 2 BGB. In diesem Fall entstünde ein auf den Sozialleistungsträger gem. § 93 Abs. 1 SGB XII überleitbarer Pflichtteilsrestanspruch.

Die Beantwortung der Frage, ob das Vermächtnis den Pflichtteil nur erreichen oder übersteigen muss, entspricht der eingangs im ersten Teil dieses Aufsatzes dargestellten Diskussion zum Umfang der Vorerbenstellung in ...

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