Leitsatz

Hat der Erblasser innerhalb seiner letztwilligen Verfügung sein Vermögen vollständig verteilt und hierdurch eine Person zum Alleinerben eingesetzt und hat der Erblasser nachträglich unvorhergesehen einen erheblichen Vermögenszuwachs erlangt, so bedarf es einer Prüfung im Einzelfall, ob der Erblasser bei Kenntnis des Vermögenszuwachses ebenfalls die als Alleinerben durch Auslegung ermittelte Person bedacht hätte.

BGH, Beschluss vom 12. Juli 2017 – IV ZB 15/16

Sachverhalt

I. Die verwitwete Erblasserin verstarb am 11.10.2015 mit letztem Wohnsitz in X. Sie hinterließ keine Kinder. Der Beteiligte zu 2 war ihr letzter Lebensgefährte. Der Beteiligte zu 1 ist ihr Bruder, die Beteiligte zu 4 dessen Ehefrau. Die Beteiligte zu 3 ist eine Großnichte des vorverstorbenen Ehemannes und das Patenkind eines ebenfalls vorverstorbenen, früheren Lebensgefährten der Erblasserin. Unter dem 3.9.2007 errichtete die Erblasserin ein eigenhändiges Testament folgenden Inhalts:

Zitat

"Mein letzter Wille "

Für den Fall meines Todes verfüge ich:

1) Haus- und Grundbesitz in X., An d. H. S. 5 a, incl. der gesamten Einrichtung sollen … [dem Beteiligten zu 2] bis an sein Lebensende zur eigenen Nutzung zur Verfügung stehen. Er ist verpflichtet den gesamten Besitz zu pflegen, ausreichend zu versichern und erforderliche Reparaturen zu veranlassen.

2) Nach dem Ableben … [des Beteiligten zu 2] geht das gesamte Objekt an … [die Beteiligte zu 3] über.

3) Eventuell noch vorhandenes Bar- oder Anlagevermögen sollen für meine Beerdigung und die Grabpflege der Gruft und des Einzelgrabes meiner Mutter eingesetzt werden.

4) Meinen Schmuck soll meine Schwägerin … [die Beteiligte zu 4] erhalten. Hier hat jedoch … [der Beteiligte zu 2] das Recht des Einbehaltes.“

Am 4.6.2015 verstarb ein ehemaliger Kriegskamerad des Vaters der Erblasserin, der sie zu seiner Alleinerbin bestimmt und ein beträchtliches Vermögen hinterlassen hatte.

Der Beteiligte zu 1 ist der Auffassung, nach dem Tod seiner Schwester sei gesetzliche Erbfolge eingetreten, während die Beteiligte zu 3 meint, testamentarische Erbin geworden zu sein. Beide haben die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der den jeweiligen Antragsteller als Alleinerben der Erblasserin ausweist. (...)

Aus den Gründen

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens, soweit der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 3 zurückgewiesen worden ist, unter Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht (§ 74 Abs. 6 S. 2 Alt. 1 FamFG).

1. Das Beschwerdegericht hat in seiner Entscheidung (ZEV 2017, 143) ausgeführt, die Beteiligte zu 3 sei nicht Alleinerbin nach der Erblasserin geworden.

Zwar sei deren Testament ursprünglich in diesem Sinne auszulegen gewesen. Die Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB, nach der die testamentarische Zuwendung einzelner Gegenstände oder Gruppen von Gegenständen im Zweifel als Vermächtnisanordnung anzusehen sei, greife nicht ein, wenn der Erblasser praktisch sein gesamtes Vermögen unter den bedachten Personen aufteile. Es stehe nicht im Streit, dass die Erblasserin über ihr gesamtes Vermögen zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung verfügt habe. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die Erblasserin neben den im Testament angeordneten Zuwendungen die gesetzliche Erbfolge habe eintreten lassen wollen. Nach dem Wertverhältnis der zugewandten Gegenstände sei das Testament zunächst dahin auszulegen gewesen, dass die Beteiligte zu 3 Alleinerbin geworden sei, weil sie nach dem Willen der Erblasserin das Hausgrundstück sowie dessen Einrichtung und damit den im Zeitpunkt der Testamentserrichtung weitaus größten Teil ihres Vermögens erhalten sollte. Dass das Grundstück nach dem Testamentswortlaut erst nach dem Tod des Beteiligten zu 2 auf die Beteiligte zu 3 übergehen sollte, stehe dem nicht entgegen, da es dem Beteiligten zu 2 lediglich "zur eigenen Nutzung zur Verfügung stehen" solle, das Eigentum an diesem aber die Beteiligte zu 3 unmittelbar habe erhalten sollen.

Allerdings gebe der Vermögenszuwachs der Erblasserin durch die Erbschaft nach dem Kriegskameraden ihres Vaters Anlass zu einer ergänzenden Testamentsauslegung, die dazu führe, lediglich von einer Teilerbeinsetzung zugunsten der Beteiligten zu 3 auszugehen. Habe der Erblasser – wie hier – im Testament durch Zuwendung bestimmter Vermögensgegenstände eine Erbeinsetzung vorgenommen, stelle sich die Frage, ob sich daran durch einen weiteren Vermögenserwerb etwas ändere. Im Falle nachträglicher Änderungen in dem bei Testamentserrichtung vorhandenen Vermögensbestand komme die ergänzende Auslegung zur Anwendung, wenn es für die Auslegung auf das Wertverhältnis der zugewandten Gegen-stände ankomme.

Eine solche Änderung sei hier eingetreten. Es sei davon auszugehen, dass die der Erblasserin zugewandte Erbschaft eine nennenswerte Summe umfasse, aufgrund derer das Hausgrundstück nun nicht mehr den weitaus größten Vermögensgegenstand im Nachlass der Erblasserin darstelle. Habe der Erblasser nach seiner Vorstellung im Zeitpunkt ...

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