Fall 1: Kein § 119 Abs. 2 BGB bei Bewertungsirrtum (Annahme) A hat seine Tante im Wege gesetzlicher Erbfolge beerbt. Nach einigen Monaten erlangt A davon Kenntnis, dass der Nachlass überschuldet ist.

A möchte seine Haftung für Nachlassverbindlichkeiten vermeiden. Neben einer Beschränkung der Erbenhaftung durch Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz hätte A auch die Erbschaft ausschlagen können. Dafür ist es aber zu spät, wenn die Ausschlagungsfrist bereits abgelaufen ist, § 1944 BGB.

§ 1954 Abs. 1 BGB regelt für die Anfechtung einer Annahme eine sechswöchige Anfechtungsfrist. Die Möglichkeit einer Anfechtung der Annahme wird somit vorausgesetzt, obwohl der Anfall der Erbschaft automatisch erfolgte und keine Willenserklärung von A nötig war. Die Annahme steht somit in dieser Hinsicht einer Willenserklärung gleich. Gleichermaßen kann auch die schlichte Versäumung der Ausschlagungsfrist nach § 1956 BGB angefochten werden.

Zu denken ist hier an § 119 Abs. 2 BGB. Die Überschuldung des Nachlasses ist dessen im Rechtsverkehr bedeutsamste Eigenschaft. Zur Anfechtung berechtigt dieser Motivirrtum nur, wenn sich A konkrete Vorstellung über die Zusammensetzung des Nachlasses machte, etwa davon ausging, dass eine bestimmte Forderung zum Nachlass gehörte oder aber eine zunächst nicht erkannte Verbindlichkeit auftaucht. Soweit A der konkrete Nachlassbestand hingegen bekannt war, er diesen aber falsch bewertete, kommt eine Anfechtung nicht in Betracht.[4] Abhängig hiervon kann A also die Annahme der Erbschaft innerhalb von sechs Wochen nach Kenntniserlangung von der Überschuldung anfechten. § 1954 Abs. 1 BGB modifiziert insoweit die Fristen der §§ 121, 124 BGB. Im Erbrecht wird auch die Form der Anfechtung modifiziert: A muss die Annahme der Erbschaft öffentlich beglaubigt oder zur Niederschrift gegenüber dem Nachlassgericht anfechten, §§ 1955, 1945 BGB.

Fall 2: § 2306 BGB: Bewertungsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB Erblasser E wurde von seinen Söhnen A und B zu je 1/2 beerbt. E hatte B verschiedene als Ackerland genutzte Grundstücke vermacht, was B mit EUR 7.500,- gegenüber A auszugleichen hatte. Auf Antrag hatte das Nachlassgericht einen gemeinschaftlichen Erbschein erteilt. Später erfuhr A, dass es sich bei den Grundstücken um wertvolles Bauland handele (Wert 1,5 Mio EUR). Der übrige Nachlass war nicht weiter werthaltig. A erklärte daraufhin gegenüber dem Nachlassgericht "die Ausschlagung der Erbschaft" und möchte an den Grundstückswerten beteiligt werden.[5]

Der Wunsch nach Beteiligung könnte im Rahmen von § 2306 BGB realisiert werden. Danach kann A als ein als Erbe berufener Pflichtteilsberechtigter den Pflichtteil unter bestimmten Voraussetzungen verlangen. Zunächst ist A als Miterbe mit einem Grundstücksvermächtnis zugunsten seines Bruders beschwert, § 2306 Abs. 1 BGB. Seinen Pflichtteil kann A danach unter Einbeziehung des Vermächtniswertes (Pflichtteil vor Vermächtnis, § 1991 Abs. 4 BGB iVm § 327 Abs. 1 Nr. 1 InsO) verlangen, wenn A die Erbschaft ausschlägt. Selbst wenn die hierfür ab Kenntnis von Beschwerung oder Belastung gesondert laufende Frist (§ 2306 Abs. 1 HS 2 BGB) noch nicht abgelaufen ist, stünde einer Ausschlagung die vorherige konkludente Annahme durch Stellung des Erbscheinantrags entgegen.

Zu prüfen ist daher, ob A diese Annahme anfechten kann. Dabei spielt eine Unkenntnis von dem allgemeinen Ausschlagungsrecht keine Rolle. Dieser ist bloß unbeachtlicher Rechtsirrtum.[6] Denkbar ist aber, dass A sich bei der Annahmeerklärung in einem relevanten Irrtum nach § 119 Abs. 2 BGB befand, als er davon ausging, das Vermächtnis zugunsten seines Bruders umfasse Ackerland. Dabei war A aber sowohl die Größe seines Erbteils, als auch der genaue Inhalt des Vermächtnisses bekannt. Er befand sich lediglich in einem Irrtum über die Bewertung der Flächen. Dies stellt nach Auffassung des BayObLG einen reinen Bewertungsirrtum dar, der nicht zur Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB berechtigt.[7] Auch einen Inhaltsirrtum bei der Annahme der Erbschaft lehnte das BayObLG ab. Deren Bedeutung hatte A sehr wohl erfasst. Lediglich hatte A verkannt, dass die Annahme der Erbschaft ihm den Zugang zur Geltendmachung eines ordentlichen Pflichtteils nach § 2306 BGB versperrt. Auch dies sei ein unbeachtlicher Rechtsfolgenirrtum.[8]

Fall 3: Bestandsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB (Annahme) Mit Erbvertrag hatte E seine Tochter T als Alleinerbin eingesetzt. Dabei hatte E nicht berücksichtigt, dass er in einem früheren Erbvertrag ein Grundstücksvermächtnis ausgebracht hatte, an das er gebunden war. T kannte das Vermächtnis, ging aber davon aus, dieses sei nach dem neuen Erbvertrag nicht mehr gültig, jedenfalls aber einredebehaftet. Nachdem T die Erbschaft durch konkludentes Verhalten angenommen hatte, hat T "die Versäumung der Ausschlagungsfrist" gegenüber dem Nachlassgericht angefochten und die Erbschaft ausgeschlagen.[9]

Vorliegend kommt eine Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist nicht in Betracht. Dem steht entgegen, dass T durch ihr Verh...

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