Der vom FG Münster vertretene Hauptzweckansatz hat im Vergleich dazu sowohl einen anderen Bezugspunkt als auch eine unterschiedliche Funktion.

Bezugspunkt ist nicht das einzelne Wirtschaftsgut, sondern die Tätigkeit der Gesellschaft, an der Anteile übergehen, insgesamt. Funktion ist nicht die Abgrenzung des begünstigten vom nicht begünstigten Vermögen, sondern die Frage der Anwendbarkeit von § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG.[68] Wegen dieser Unterschiede kann m.E. nicht davon ausgegangen werden, dass durch die Auslegung des FG Münster der Hauptzweckansatz "durch die Hintertür"[69] wieder eingeführt würde.

Gegen das vom FG Münster angewandte Differenzierungskriterium wird weiterhin eingewendet, die in § 13b Abs. 4 Nr. 5 S. 4 ErbStG erhalten gebliebene Hauptzweckprüfung sei z.B. in mehrstufigen Konzernstrukturen mit vielen Zweifelsfragen und Unsicherheiten verbunden.[70] Insoweit ist zu bemerken, dass solche Strukturen dies nun mal mit sich bringen können und der Ansatz gleichwohl praktisch anwendbar erscheint.[71]

Im Ergebnis bedeutet die vom FG Münster durchgeführte Prüfung anhand des so verstandenen Hauptzwecks, dass § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG dann keine Anwendung findet, wenn, wie im Sachverhalt des Streitfalls gegeben, die übertragenen Anteile einer originär gewerblichen Tätigkeit dienen.[72] Das Differenzierungskriterium des Hauptzwecks i.S.d. der Auslegung durch das FG Münster führt somit zu Ergebnissen, die auch in der Literatur vorgeschlagen werden.

Daher ist zu hoffen, dass der BFH dieser Auslegung folgt. Bescheide, die die Begünstigungen nach §§ 13a, 13b, 13c, 28a ErbStG versagen, weil der Einstiegstest nicht bestanden wurde, sind durch Rechtsmittel offen zu halten. Die zu erwartende Entscheidung geht über die gewerbliche Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft hinaus.[73] Daher sollte darin auch klargestellt werden, dass der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, eine entsprechende Einschränkung des Einstiegstests auch bei land- und forstwirtschaftlichen Betrieben (§ 13 Abs. 1 EStG), Gewerbebetrieben (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG) und selbstständiger Arbeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG) vorzunehmen.

[69] Wachter, GmbHR 2022, 386.
[70] Korezkij/Reich, ZEV 2022, 114, 115.
[71] Hierzu im Einzelnen Korezkij, Beck-OK ErbStG, Stand 1.7.2022, § 13b Rn 220, 224; RE 13b 23 Abs. 6 ErbStR 2019.
[72] In diesem Sinne Reich, BB 2016, 2647, 2650; Wachter, in: Fischer/Pahlke/Wachter, § 13b En. 289; Landsittel, ZErb 2020, 121, 124.
[73] Der – nicht amtliche – Leitsatz der Entscheidung des FG Münster beschränkt sich auf Kapitalgesellschaften, vgl. ZEV 2022, 110. Der Tenor der Hauptsacheentscheidung ändert den angegriffenen Bescheid über Schenkungsteuer dahingehend ab, dass die Schenkungsteuer unter Anwendung der Regelverschonung gem. § 13a Abs. 1 ErbStG und des Abzugsbetrags gem. § 13a Abs. 2 ErbStG auf 0 EUR festgesetzt wird, vgl. https://www.justiz.nrw.de/nrwe/fgs/muenster/j2021/3_K_2174_18_Erb_Urteil_20211124.html.

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