Wichtige Stimmen im Schrifttum sind sich neben der These der bloßen (Teil-)Aufhebbarkeit aber auch darin einig, dass bei späteren unvorhergesehenen Entwicklungen Antrag und Beschluss nach § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB dann möglich sind, wenn dies dem mutmaßlichen Erblasserwillen entspricht. Ändern sich z. B. die Umstände des Nachlasses, die der Erblasser nicht vorhergesehen hat, kann eine Nachlassgefährdung im Sinne von § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB vorliegen und der entsprechende, den Nachlass schützende Erblasserwille kann über die ergänzende Testamentsauslegung erreicht werden.[13]

Exemplarisch anhand des Behindertentestaments und dessen Vorgabe zur Mittelverwendung für den Testamentsvollstrecker führt Zimmermann aus: "Eine durch die nachträgliche Entwicklung der Verhältnisse überholte Verwaltungsanordnung wird häufig schon mit Rücksicht auf den mutmaßlichen Erblasserwillen kraft ergänzender Aus- legung eine modifizierte, den neuen Verhältnissen angepasste Bedeutung haben oder sogar völlig gegenstandlos sein."[14] Und Reimann stellt fest: "Die Bindung des Testamentsvollstreckers an die Verwaltungsanordnungen des Erblassers ist keine unbedingte, da u. U., etwa infolge ungenügender geschäftlicher Erfahrung oder infolge einer Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse in der Zeit zwischen der Anordnung und ihrer Vollziehung – man denke an die Geldentwertung –, das Befolgen der Anordnung nicht mehr dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entsprechen würde. In manchen dieser Fälle mag eine ergänzende Auslegung des Testaments eine Anpassung der letztwilligen Anordnungen an die veränderten Verhältnisse ermöglichen. In anderen Fällen kann die Anfechtung der letztwilligen Verfügung (§§ 2078 ff) helfen. Doch diese Wege sind nicht immer gangbar."[15] Reimann kommt dann an derer Stelle zu dem Schluss: "Dagegen kann das Nachlassgericht nicht eigene Anordnungen über die Verwaltung erlassen. ... Zulässig ist die teilweise Aufhebung der Verwaltungsanordnung, u. U. auch die Aufhebung unter Einschränkungen oder Bedingungen, die freilich einer Änderung nahekommen kann."[16]

Damrau stimmt diesen Meinungen zusammenfassend zu: Das Nachlassgericht, das nur auf Antrag tätig wird, ausschließlich zur Entscheidung befugt ist und kein allgemeines Aufsichtsrecht über den Testamentsvollstrecker hat (hierauf werden wir zurückkommen), "kann keine eigenen Anordnungen über die Verwaltung treffen (unter Verweis auf den Beschluss des Kammergerichts, Anm. des Verf.), sondern nur Verwaltungsanordnungen des Erblassers ganz oder teilweise aufheben, einschränken, mit Bedingungen versehen, aber nicht durch andere ersetzen."[17]

Der zulässige Inhalt dieser "Modifikation" (Zimmermann), der "Aufhebung unter Einschränkungen oder Bedingungen" oder einer "Änderung" (Reimann) bleibt offen, man vermeidet es, konkret zu werden.[18] Die herrschende Meinung tut sich wohl schwer, diese Aussagen mit ihrer These von der bloßen (Teil-)Aufhebbarkeit einer Anordnung nach § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB in Einklang zu bringen. Auch der Bezug zur ergänzenden Testamentsauslegung bleibt offen. Denn die Grundsätze zur Ermittlung des hypothetischen Erblasserwillens dienen und führen in ihrer Flexibilität auch und gerade dazu, selbigen inhaltlich zu ändern, zu modifizieren.[19] Diese Unklarheit kommt wohl auch dadurch zum Ausdruck, dass beide Thesen, bloßes (Teil-)Aufhebungsrecht ohne eigene gerichtliche Regelungsbefugnis einerseits und "Modifikation" über den mutmaßlichen Erblasserwillen andererseits, oft ohne Bezug zueinander bzw. getrennt voneinander besprochen werden.[20]

Das BayObLG hat in seinem Beschluss vom 30.9.1999 bei der Frage, ob der Testamentsvollstrecker zur Antragstellung nach § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB verpflichtet sei bzw. den Erben zu unterrichten, die oben zitierte offene Kommentierung des MüKos (damals noch betreut von Brandner) wörtlich übernommen: "Das Stellen eines Antrags nach § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB gehört zu den Pflichten des Testamentsvollstreckers, wenn eine ordnungsgemäße Nachlassverwaltung die Beseitigung der Verwaltungsanordnung notwendig erfordert."... Es "kann eine durch eine nachträgliche Entwicklung der Verhältnisse überholte Verwaltungsanordnung schon mit Rücksicht auf den mutmaßlichen Erblasserwillen kraft ergänzender Auslegung eine modifizierte, den neuen Verhältnissen angepasste Bedeutung haben oder sogar völlig gegenstandslos sein."[21] Zur grundsätzlichen Systematik der Kommentierung, die schon damals den Vorrang des § 2216 Abs. 1 BGB ansprach[22], und auf die wir sogleich unter Abschnitt IV.1. noch eingehen werden, äußerte sich das Gericht aber nicht. Es fällt daher schwer, den Beschluss des BayOBLG eindeutig in das Meinungsspektrum ein- bzw. der hM zuzuordnen, da es dem Gericht allein um die o. g. Pflichten ging.[23]

Auch methodisch ist der Weg zweifelhaft und trotz der Aussage des BayObLG nicht ohne Risiko:

Soweit das Schrifttum und (evtl. auch) das BayObLG hierzu Stellung nimmt, wird der mutmaßliche Erblasserwillen bei der Auslegung der Anordnung nach § 2216 ...

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