Leitsatz

1. Gemäß § 2078 Abs. 2 BGB kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, soweit der Erblasser zu der Verfügung durch eine irrige Annahme eines Umstandes bestimmt worden ist (Motivirrtum). Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der Testamentserrichtung. An den Nachweis eines Motivirrtums müssen aber sehr strenge Anforderungen gestellt werden.

2. Zum Motivirrtum zählen auch die fehlgeschlagene Erwartung zukünftiger Entwicklungen, etwa die Erwartung des Ausbleibens tiefgreifender Unstimmigkeiten mit dem Bedachten, wobei auch unbewusste Vorstellungen und solche, die auf als selbstverständlich angenommen Voraussetzungen beruhen, ausreichen können. Deshalb können im Einzelfall auch irrige Vorstellungen des Erblassers in Bezug auf die eheliche Treue der Ehefrau einen zur Anfechtung berechtigenden Motivirrtum begründen. Jedoch sind solche (auch "unbewussten") Erwartungen und vor allem ihre Ursächlichkeit für die Verfügung eines Erblassers nicht allgemein und in jedem Falle oder auch nur im Normalfall anzunehmen. Es müssen vielmehr besondere Umstände des Einzelfalles eine solche Annahme rechtfertigen.

3. Lassen sich die Motive des Erblassers bzw. ihr Gewicht im Einzelnen nicht mehr aufklären, so ist die Anfechtbarkeit zu verneinen.

OLG Hamm, Beschl. v. 8.12.2021 – 10 W 27/20

1 Gründe

I.

Die Antragstellerin ist die Witwe des am 0.0.1959 geborenen und am 0.0.2016 verstorbenen Erblassers. Die Antragsgegner sind dessen Brüder. Die Beteiligte zu 4) ist eine Nichte der Antragstellerin.

Die Antragstellerin ging Anfang 2016 eine außereheliche Beziehung ein, trennte sich im Spätsommer 2016 von dem Erblasser und zog aus der gemeinsamen Ehewohnung aus. Ein Scheidungsverfahren wurde von keinem der Eheleute eingeleitet. Am 19.12.2016 ließ der Erblasser ein notarielles Testament beurkunden, in dem er die Beteiligte zu 4), bei der es sich um die Tochter der Schwester der Antragstellerin, Frau X A, handelt, zu ½ und die beiden Beteiligten zu 2) und 3) zu je ¼ zu Miterben einsetzte. In der Vorbemerkung des notariellen Testaments heißt es:

Zitat

"In der freien Verfügung über mein Vermögen bin ich in keiner Weise beschränkt, weder durch einen Erbvertrag noch durch ein gemeinschaftliches Testament. Vorsorglich widerrufe ich alle etwa vorhandenen früheren Verfügungen von Todes wegen."

Eine Woche nach Errichtung dieses Testaments beging der Erblasser Suizid. In einem von ihm hinterlassenen Abschiedsbrief heißt es u.a.:

Zitat

"Ich weiß auch nicht mehr, ob das mit dem Testament eine gute Idee war."

Mit anwaltlichem Schreiben vom 9.1.2017 machte die Antragstellerin zunächst Pflichtteilsansprüche geltend. Zum Nachlass des Erblassers gehören u.a. das Elternhaus der Antragstellerin in B, das sie dem Erblasser im Jahr 2014 übertragen hatte, sowie zwei weitere Immobilien, die ursprünglich aus der Familie der Antragstellerin stammten.

Aus dem in der vormaligen Ehewohnung befindlichen Tresor entnahm die Antragstellerin Anfang Januar ein handschriftlich verfasstes Schriftstück, in dem es heißt:

Zitat

"Testament von C und D Y! Im Falle meines Todes, setze ich D Y meinen Mann, C Y zu meinem alleinigen Erben ein. Im Falle meines Todes, setze ich C Y meine Frau, D Y zu meinem alleinigen Erben ein."

Im unteren Bereich des Schriftstücks ist ein Teil abgeschnitten. Dort ist noch der Anfangsbuchstabe "Buchstabe01" einer Unterschrift sichtbar. Das Datum in der Kopfzeile ist unkenntlich gemacht worden. Quer über den Text ist eine diagonale Linie gezogen mit dem Bemerken "Ungültig".

Die Antragstellerin hat unter dem 18.1.2017 auf der Grundlage dieses von ihr aufgefundenen Schriftstücks die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Alleinerbin ausweist. Dazu hat sie vorgetragen, bei dem Schriftstück handele es sich um das gemeinsam mit dem Erblasser errichtete Testament. Der Erblasser habe auf dieses Testament ohne ihre Beteiligung den Vermerk "ungültig" gesetzt und eigenmächtig die Unterschriften abgeschnitten. Damit sei sie nicht einverstanden gewesen. Sie sei aus der Ehewohnung ausgezogen, weil der Erblasser unter psychischen Problemen gelitten habe und im Verlauf des Jahres 2016 immer gewaltbereiter geworden sei. Der Auszug sei mit dem Erblasser abgesprochen gewesen. Von einer Ehescheidung sei nicht die Rede gewesen. Sie sei auch nicht aus einer intakten Ehe ausgebrochen.

Die Antragsgegner sind dem entgegengetreten und haben beantragt, den Erbscheinsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen. Sie haben vorgetragen, es könne sein, dass sich der Erblasser zusammen mit der Antragstellerin dazu entschlossen habe, das Testament zu widerrufen bzw. aufzuheben. Die Tatsache, dass es nicht vernichtet worden sei, spreche dafür, dass es von beiden Eheleuten widerrufen worden sei. Die Antragsgegner haben mit Nichtwissen bestritten, dass das Schriftstück jemals von den Eheleuten unterzeichnet gewesen sei. Möglicherweise sei es zu keiner Zeit wirksam errichtet worden. Mit Schriftsatz vom 6.3.2017 haben sie vorsorglich die Anfechtung der Erbeinsetzung der Antragstellerin gem. § 2078 Abs. ...

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