Mit seiner Entscheidung vom 22.3.2023 hat der BGH nun die bis dahin hoch umstrittene Frage entschieden, inwieweit ein Irrtum bei der sog. "lenkenden Ausschlagung" über die Person, welche aufgrund der Ausschlagung zum nächsten Erben berufen sein wird, zur Anfechtung der Ausschlagungserklärung berechtigt oder nicht.

In dem vorliegenden Fall war der Erblasser ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung verstorben. Er war beim Erbfall verheiratet. Mit seiner Ehefrau hatte er gemeinsame Abkömmlinge. Die Eltern und Großeltern des Erblassers waren verstorben. Es existierten aber noch Halbgeschwister des Erblassers.

Sämtliche Abkömmlinge des Erblassers schlugen die Erbschaft wirksam aus. Ziel war es, dass die Witwe des Erblassers dessen Alleinerbin werden sollte, um insbesondere die zum Nachlass gehörende Eigentumswohnung zu erhalten. Im Rahmen des Verfahrens trug einer der Abkömmlinge weiter vor, dass man bei der Ausschlagung davon ausgegangen sei, dass Anwachsung der Erbteile der Abkömmlinge bei der Ehefrau bzw. Mutter eintreten würde.

Die Witwe, die zunächst einen Alleinerbschein beantragt hatte, wurde vom Nachlassgericht drauf hingewiesen, dass sie nur dann Alleinerbin sei, wenn weder Erben der 1. oder 2. Ordnung noch Großeltern des Erblassers vorhanden seien. Dessen Halbgeschwister seien allerdings Erben der 2. Ordnung, welche nun neben ihr als Ehefrau zu Erben berufen seien, nachdem sämtliche Erben der 1. Ordnung, die Abkömmlinge des Erblassers, die Erbschaft ausgeschlagen hätten.

Daraufhin erklärte einer der Abkömmlinge des Erblassers die Anfechtung seiner Ausschlagungserklärung. Der BGH hatte nun darüber zu entscheiden, ob der nun beantragte Erbschein, welcher die Witwe und den Sohn zu Erben zu je ½ Anteil ausweisen sollte, zu erteilen war. Das Nachlassgericht und das OLG Hamm hatten diesen Erbscheinsantrag abgelehnt. Diese Entscheidung hat der BGH bestätigt.

Mit dem vorliegenden Beschluss klärt der BGH die Frage, ob bei einem Irrtum über den nächstberufenen Erben im Fall der Erbausschlagung ein gem. § 119 Abs. 1 S. 1 BGB beachtlicher Rechtsirrtum oder nur ein unbeachtlicher Motivirrtum vorliegt. Nach dem BGH handelt es sich nur dann um einen beachtlichen Rechtsirrtum, wenn die Abweichung der beabsichtigten Rechtsfolge von der tatsächlich eingetretenen Rechtsfolge erheblich ist. Tritt jedoch lediglich eine vom Erklärenden nicht gewollte Rechtsfolge zu der von ihm tatsächlich gewollten Rechtsfolge hinzu, liegt laut BGH nur ein unbeachtlicher Motivirrtum vor. Das sei hier der Fall, da das beabsichtigte Ziel der Ausschlagung, nämlich dass der Erklärende nicht Erbe wird, erreicht worden sei. Lediglich das weitere Ziel, nämlich dass die Witwe des Erblassers dadurch Alleinerbin würde, sei nicht erreicht worden.

Für dieses Ergebnis spricht laut BGH insbesondere § 1953 BGB. Dort sei nur geregelt, welche Rechtsfolge die Ausschlagung für den Erklärenden hat und dass sich darüber hinaus die weitere Erbfolge aus den allgemeinen (gesetzlichen) Regeln ergibt. D. h. im Fall der gesetzlichen Erbfolge richtet sich die Rechtslage nach Ausschlagung weiterhin nach den gesetzlichen Regelungen, §§ 1924 ff. BGB. Liegt ein Testament vor, richtet sich die Erbfolge im Fall der Ausschlagung entweder nach dem Ergebnis einer Auslegung der letztwilligen Verfügung oder nach den gesetzlichen Vermutungsregelungen zur Ersatzerbschaft (§ 2069 BGB) oder zur Anwachsung (§ 2094 BGB). Die weitere Erbfolge ergebe sich laut BGH aber eben nicht unmittelbar aus § 1953 BGB. Die dort geregelte und vom Erklärenden auch beabsichtigte Rechtsfolge, nämlich dass er die ihm zugedachte Rechtsstellung aufgibt und nicht Erbe wird, sei im vorliegenden Fall eingetreten. Die beabsichtigte weitere, durch die Ausschlagung erst eintretende Erbfolge, sei nur ein weiteres Motiv für die Ausschlagungserklärung gewesen, sodass ein Irrtum darüber zur Anfechtung nicht berechtige.

Weiter begründet der BGH diese enge Auslegung der Anfechtungsmöglichkeiten damit, dass dies auch im Interesse der Rechtssicherheit erforderlich sei. Das Gesetz sehe ohnehin nur eine relativ kurze Ausschlagungsfrist vor. Diese sei dadurch begründet, dass ein ungewisser, unter Umständen lang andauernder Schwebezustand über die eingetretene Erbfolge nach Möglichkeit vermieden werden soll. Würden nun die Anfechtungsmöglichkeiten einer Ausschlagungserklärung erweitert, ginge dies zulasten der Rechtssicherheit. Insofern ist die Entscheidung konsequent. Geht man mit dem BGH davon aus, dass vorrangiges Ziel des Gesetzes sei, dass langwierige Verfahren zur Feststellung der eingetretenen Erbfolge weitgehend vermieden werden sollen, müssen auch die Konsequenzen einer Erbausschlagung möglichst zeitnah zum Erbfall feststehen.

Vor diesem Hintergrund ist die vorliegende Entscheidung insbesondere auch für den Rechtsanwender und Berater grundsätzlich zu begrüßen. Sie führt aber auch dazu, dass lenkenden Ausschlagung, wenn überhaupt, nur mit größter Vorsicht einzusetzen sind.

Beglaubigt der Notar die Unterschrift unter...

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