I. Die Beteiligten erstreben eine Klärung der Erbfolge im Erbscheinsverfahren.

Der Erblasser ist am 3.7.2018 verstorben, ohne eine letztwillige Verfügung zu hinterlassen. Die Beteiligte zu 1 ist die Witwe des Erblassers, der Beteiligte zu 2 ein gemeinsames Kind. Sämtliche Abkömmlinge des Erblassers schlugen durch notariell beglaubigte Erklärungen gegenüber dem Nachlassgericht die Erbschaft aus. Die fristgerecht beim Nachlassgericht eingegangene Erklärung des Beteiligten zu 2 lautet auszugsweise:

Zitat

"Ich, (…), schlage die Erbschaft hiermit aus allen in Betracht kommenden Gründen aus."

Daraufhin beantragte die Beteiligte zu 1 zunächst einen Erbschein, durch den sie als Alleinerbin aufgrund gesetzlicher Erbfolge ausgewiesen werden sollte. Nachdem das Nachlassgericht die Beteiligte zu 1 darauf hingewiesen hatte, dass sie gem. § 1931 Abs. 1 BGB nur Alleinerbin sei, soweit weder Erben der ersten und zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden seien, focht der Beteiligte zu 2 seine Ausschlagungserklärung durch notariell beglaubigte Erklärung fristgerecht wegen Irrtums an, die auszugsweise wie folgt lautet:

Zitat

In der Nachlasssache (…) fechte ich, (…), die Ausschlagungserklärung (…) wegen Irrtums an.

Ich und meine Geschwister haben die Erbschaft ausgeschlagen, weil wir davon ausgingen, dass somit unsere Mutter, (…), Alleinerbin ist und somit auch als Alleineigentümerin der Eigentumswohnung (…) eingetragen wird. Nunmehr erhielt ich Kenntnis darüber, dass durch die Ausschlagungserklärung sämtlicher Kinder unseres Vaters dessen Halbgeschwister erben.

Diese Halbgeschwister sind weder meiner Mutter, meinen Geschwistern oder mir namentlich bekannt. Auch mein Vater hatte zu diesen Halbgeschwistern keinen Kontakt. Erst mit der Mitteilung des Nachlassgerichts (…) erfuhr ich durch meine Mutter am 2.10.2018, dass die Halbgeschwister meines Vaters durch meine Erbausschlagung erben.

(…)

Daraufhin beantragte die Beteiligte zu 1 einen gemeinschaftlichen Erbschein für sie und den Beteiligten zu 2 als Miterben zu 1/2.

Sodann wies das Nachlassgericht darauf hin, dass es die Anfechtungserklärung nicht als wirksam erachte, da es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum handele, und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Hierauf ergänzte der Beteiligte zu 2 seine Anfechtungserklärung durch weitere notariell beglaubigte Erklärung u.a. wie folgt:

Zitat

Bei der Ausschlagung der Erbschaft ging ich davon aus, dass die Erbschaft der übrig bleibenden Miterbin, meiner Mutter, übertragen wird. Mir war nicht bekannt, dass die Erbschaft durch meine Ausschlagung demjenigen anfällt, welcher berufen gewesen wäre, wenn ich und meine Geschwister zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätten.

(…).

Ferner erklärten die Beteiligten mit anwaltlichem Schreiben, der Beteiligte zu 2 sei im Zeitpunkt der Ausschlagung der Auffassung gewesen, dass durch seine Ausschlagung und diejenige seiner Geschwister die Erbanteile der Beteiligten zu 1 übertragen würden. Er sei also der Auffassung gewesen, dass diese Erbteile ihr anwachsen würden.

Den Erbscheinsantrag hat das Nachlassgericht zurückgewiesen. Im Rahmen der dagegen gerichteten Beschwerde hat das OLG Ermittlungen zur Identität der Erben zweiter Ordnung durchgeführt, die ergeben haben, dass der Erblasser neben Halbgeschwistern auch eine Vollschwester hatte. Daraufhin hat der Beteiligte zu 2 seine Anfechtungserklärung dahingehend ergänzt, dass ihm auch nicht bekannt gewesen sei, dass sein Vater eine Vollschwester gehabt habe. Sodann hat das OLG die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten, mit der sie den Erbscheinsantrag weiterverfolgen.

II. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung u.a. ZEV 2022, 525 veröffentlicht ist, ist der Ansicht, der Beteiligte zu 2 sei nicht neben der Beteiligten zu 1 zur Erbfolge gelangt, da er die Erbschaft wirksam ausgeschlagen habe. Die Wirkung der Ausschlagung sei nicht durch seine Anfechtungserklärung beseitigt worden. Die Anfechtung sei unwirksam, da sich anhand seines Vorbringens ein rechtlich beachtlicher Anfechtungsgrund nicht feststellen lasse. In der ex-post-Sicht sei es offensichtlich, dass sich der Beteiligte zu 2 bei seiner Ausschlagungserklärung in einem Rechtsirrtum befunden habe. Die allgemeine Begründung der Anfechtung, der Beteiligte zu 2 habe darüber geirrt, dass neben seiner Mutter noch Erben zweiter Ordnung zur Erbfolge gelangen können, sei aus Rechtsgründen unbeachtlich, da es sich um einen bloßen Motivirrtum handele. In diesen Fällen habe der Ausschlagende nicht über die primäre Rechtsfolge (Verlust der Erbenstellung), sondern über eine weitere, von Gesetzes wegen eintretende Rechtsfolge, nämlich den Anfall bei einer bestimmten Person, geirrt. Die Vorstellungen und die Willensrichtung des Ausschlagenden seien für den rechtlichen Maßstab, was als unmittelbare und was als mittelbare Rechtsfolge angesehen werden könne, bedeutungslos. Die primäre Rechtsfolge der Ausschlagung sei nach § 1953 Abs. 1 BGB der Wegfall des Ausschlagend...

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