Selbst dann, wenn man mit dem KG Berlin zu dem Ergebnis kommt, die Einwilligung der Kommunikationspartner sei nicht dahingehend auszulegen, dass sie auch den Übergang auf die Erben im Erbfall erfasst, greifen die soeben angestellten Überlegungen, und zwar im Rahmen der Prüfung einer mutmaßlichen Einwilligung. Wie wir oben gesehen haben, liegt auch diesem Rechtfertigungsgrund das Prinzip des überwiegenden Interesses zugrunde.

Das gilt zunächst für die Frage der Anwendbarkeit dieses Rechtfertigungsgrundes. Er ist nämlich von vornherein dann nicht anwendbar, wenn der betroffene Rechtsgutträger "ohne Beeinträchtigung anderer schutzwürdiger Interessen gefragt werden könnte, ob er zustimmt oder nicht."[35] Im vorliegenden Fall ist diese Voraussetzung erfüllt. Um die Kommunikationspartner fragen zu können, müsste man sie kennen. Ohne Zugang zu dem Nutzerkonto kann man sie aber nicht ermitteln und somit auch nicht nach ihrer Einwilligung fragen.

Sodann muss man sich die Frage stellen, ob die betroffenen Rechtsgutträger in Kenntnis aller Umstände ihre Zustimmung erteilt hätten oder nicht. Auf frühere Äußerungen der Rechtsgutsträger zu dieser Frage, an denen man sich orientieren könnte, kann man mangels Kenntnis von der Identität der Kommunikationspartner dabei nicht zurückgreifen.

[35] MüKo-StGB/Schlehofer, Vorbemerkung zu § 32 Rn 194.

aa) Die Wertung des KG Berlin

Das KG Berlin geht zwar auf die mutmaßliche Einwilligung ein, legt bei ihrer Prüfung aber den falschen Abwägungsmaßstab an. Nach dem KG Berlin (Rn 109) soll "das ... anzunehmende Fehlen eines Schutzinteresses an dem in Anspruch genommenen Gut" entscheidend für die Rechtfertigung sein. Von dem Fehlen eines Schutzinteresses der Kommunikationspartner im Fall der elektronischen Kommunikation und speziell bei der Kommunikation bei Facebook könne im Erbfall aber nicht ausgegangen werden. So sei es bspw. bereits im Fall einer geschäftlicher Kommunikationen nicht ausgemacht, dass die jeweiligen Geschäftspartner mutmaßlich mit der Kenntnisnahme durch die Erben einverstanden seien. Es sei fraglich, so das KG Berlin (Rn 109), "warum z. B. für abgeschlossene Geschäftsvorgänge oder für den Geschäftspartner nachteilige Geschäftsvorgänge ein überwiegendes Interesse des Geschäftspartners an einem Zugang der Erben zum E-Mail-Account gegeben sein soll."

Für den Fall der privaten Kommunikation kommt das KG Berlin sodann zu der folgenden Wertung: "Warum im Falle des Todes des Kommunikationspartners kein Interesse mehr an den Schutzwirkungen des Fernmeldegeheimnisses gerade betreffend höchstpersönlicher Inhalte mehr gegeben und somit von einer mutmaßlichen Einwilligung in die Zugangsgewährung für die Erben aus eigenem Interesse bestehen sein soll, ist für den Senat nicht ersichtlich. Insbesondere rechtfertigen die in der Literatur erörterten Gründe, wie das vermeint- liche Interesse der Kommunikationspartner, über den Tod des Erblassers informiert zu werden, etwa um den Angehörigen ihr Beileid aussprechen zu können (vgl. Pruns, aaO)[36], die Annahme einer solchen hypothetische Einwilligung betreffend aller höchstpersönlichen Inhalte nicht. Auch hinsichtlich des Interesse der Klägerin und des Vaters der Erblasserin durch den Zugang zum Facebook-Account der Verstorbenen Gewissheit über die Hintergründe des Todes ihrer Tochter zu erhalten, gibt es keine Vermutung dafür, dass alle Kommunikationspartner, die mit der Erblasserin über die Dienste der Beklagten persönliche Inhalte ausgetauscht haben, ihr Interesse an der Wahrung des Telekommunikationsgeheimnisses insoweit gegenüber dem Interesse der Klägerin preisgeben."

[36] Der Senat verweist insoweit auf Pruns NWB 2014, 2175, 2185, gibt den dortigen Argumentationsgang aber nur stark verkürzt wieder.

bb) Kritik

Wie bereits oben ausgeführt wurde, verkennt das KG Berlin, dass für die mutmaßliche Einwilligung nicht das Prinzip des fehlenden Interesses entscheidend ist, sondern das des überwiegenden Interesses. Andernfalls hätte der Rechtfertigungsgrund keinen praktischen Anwendungsbereich.

Dazu Schlehofer:[37] "Nach dem Prinzip des mangelnden Interesses müsste man eine 100%ige Wahrscheinlichkeit verlangen. Nur dann stünde fest, dass es an einem Interesse an der Erhaltung des Rechtsgutsobjekts mangelt. Eine solche Prognose ist in der Realität aber nicht möglich; in ihr gibt es keine absolute Sicherheit. Man hat also stets zwei Wahrscheinlichkeiten: die, dass der Rechtsgutsträger oder sein Vertreter zustimmen würde, und die, dass er es nicht täte. Damit gibt es stets ein Interesse, das dem Interesse, die Tat zu begehen, widerstreitet – das potentielle Interesse des Rechtsgutsträgers an der Erhaltung des Rechtsgutsobjekts. Um diesen Widerstreit systemkonform aufzulösen, muss man die Interessen gegeneinander abwägen und dem überwiegenden Interesse den Vorzug geben."

Der entgegengesetzte Ausgangspunkt in der Argumentation des KG Berlin hat bspw. zur Folge, dass das Gericht danach fragt (Rn 109 – Hervorhebung nur hier), ob "alle Kommunikationspartner, die mit der Erblasserin über die Diens...

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