Die Urteilsbegründung des KG Berlin ist, was angesichts der Bedeutung und der Diskussion um das Thema nicht verwundert, sehr ausführlich ausgefallen. Der zentrale Argumentationsgang des Gerichts ist trotzdem recht einfach: Es könne dahinstehen, so das KG Berlin, ob durch den Erbfall der Anspruch der Verstorbenen aus dem Nutzungsvertrag mit Facebook auf Zugang zu dem Benutzerkonto auf die Eltern übergegangenen ist, denn einen solchen Anspruch dürfte Facebook, so das KG Berlin weiter, aufgrund § 88 Abs. 3 TKG nicht erfüllen, womit ein Fall der rechtlichen Unmöglichkeit (§ 275 BGB) vorliege.

Die Regelung des § 88 Abs. 3 TKG steht spätestens seit der Stellungnahme des DAV zum digitalen Nachlass[6] im Zentrum der Diskussion über dieses Thema. § 88 Abs. 3 TKG bestimmt, dass es Dienstanbietern untersagt ist, "sich oder anderen über das für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste einschließlich des Schutzes ihrer technischen Systeme erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation zu verschaffen." Dienstanbieter, so der weitere Inhalt der Regelung, "dürfen Kenntnisse über Tatsachen, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, nur für den in Satz 1 genannten Zweck verwenden. Eine Verwendung dieser Kenntnisse für andere Zwecke, insbesondere die Weitergabe an andere, ist nur zulässig, soweit dieses Gesetz oder eine andere gesetzliche Vorschrift dies vorsieht und sich dabei ausdrücklich auf Telekommunikationsvorgänge bezieht."

Der DAV kommt insbesondere aufgrund der Ausführungen von Mayen[7] zu dem Ergebnis, dass es an einer Vorschrift fehlt, die es Dienstanbietern gestattet, den Erben Kenntnis "vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation" des Erblassers mit seinen Kommunikationspartnern "zu verschaffen". Deshalb, so der DAV, bedürfe es, damit Erben auf in E-Mail-Konten oder in Benutzerkonten bei sozialen Netzwerken gespeicherten Kommunikationsinhalte des Erblassers zugreifen dürfen, im Bereich des Fernmeldegeheimnisses der Einführung einer ergänzenden Regelung durch den Gesetzgeber, die "der seit langem bewährten Regelung im Bereich des Briefgeheimnisses" entspreche.[8]

[6] Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch die Ausschüsse Erbrecht, Informationsrecht und Verfassungsrecht zum Digitalen Nachlass – Stellungnahme Nr.: 34/2013, Juni 2013, abrufbar hier: https://anwaltverein.de/files/anwaltverein.de/downloads/newsroom/stellungnahmen/2013/SN-DAV34-13.pdf (abgerufen am 5.7.2017).
[7] DAV-Stellungnahme, S. 66 ff.
[8] DAV-Stellungnahme, S. 8.

a) Parallele zum Briefgeheimnis

Bereits an anderer Stelle[9] habe ich dargelegt, dass dieser Gedankengang einen Fehler aufweist: Auch im Bereich des Brief- und Postgeheimnisses fehlt es an einer Regelung, die es den Postdienstleistern gestattet, den Erben die an den Erblasser adressierten Briefe zuzustellen. Insbesondere ist § 39 Abs. 4 S. 2 PostG[10] nicht einschlägig.[11] Es existiert also gerade keine "bewährte Regelung im Bereich des Briefgeheimnisses". Gleichwohl scheint es der einhelligen Auffassung zu entsprechen, dass die Postdienstleister den Erben die an den Erblasser adressierten Briefe aushändigen dürfen. Daraus kann man nun entweder die Konsequenz ziehen, dass die Praxis der Postdienstleister rechtswidrig ist, was das KG Berlin in seinem Urteil tatsächlich in Betracht zieht (Rn 97: "Briefgeheimnis durch die Postdienstleister möglicherweise nicht stringent beachtet") – oder man fragt sich, ob das Verbot des § 88 Abs. 3 TKG in unseren Fällen vielleicht doch überwindbar ist.

[9] Pruns, NWB 2014, 2175.
[10] Auf diese Vorschrift verweist Deusch, ZEV 2014, 2, 5.
[11] Pruns, NWB 2014, 2175, 2180 f. Ebenso etwa NK-Nachfolgerecht/Herzog, Kap. 9 Rn 64; Holzer, in: Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, Kap. XVII Rn 33.

b) Problematik nicht auf § 88 Abs. 3 TKG beschränkt

Der richtige Lösungsansatz ist der Letztgenannte. Um sich das vor Augen zu führen, hilft es, wenn man den vom KG Berlin entschiedenen Sachverhalt abwandelt und das Problem dadurch in einen allgemeineren Kontext stellt.

Stellen wir uns dazu Folgendes vor: Facebook erfährt nicht vom Tod der Tochter und versetzt ihr Benutzerkonto deshalb auch nicht in den Gedenkzustand. Die Eltern greifen nun mit den ihnen bekannten Zugangsdaten auf das Benutzerkonto zu und entdecken die sehr persönliche Korrespondenz ihrer Tochter mit deren Freundin F, in der ihre Tochter von Suizidgedanken gesprochen hat. Sie kontaktieren daraufhin F und bitten diese um weitere Informationen. F weigert sich und klagt gegen die Eltern gem. den §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog auf Unterlassung der Nutzung des Benutzerkontos, da sie durch diese ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt sieht.

In dieser Abwandlung ist § 88 Abs. 3 TKG nicht anwendbar, da Facebook nicht tätig geworden ist und auch nicht auf Zugangsverschaffung in Anspruch genommen wird. Vielmehr stehen sich die Erben und die F als Kommunikationspartnerin der Tochter nun direkt gegenüber. Das zugrundeliegende rechtliche Problem bleibt aber in beiden Fällen gleich: Wird das Fernmeldegeheimnis der Kommuni...

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