Direkt einschlägige Rechtsprechung, die das methodische Problem als solches erörtern, gibt es wohl nicht. Einige Urteile könnten jedoch rechtliche Hinweise geben und/oder praktisch hilfreich sein aufgrund der oft schwierigen Auslegung des mutmaßlichen Erblasserwillens.

1. Der Beschluss des BayObLG vom 29.3.1976 – BReg 1 Z 9/76

Im Zuge eines umfangreichen Entlassungsverfahrens musste sich das BayObLG u.a. mit Geschäften befassen, die im Testament zwar beschrieben waren. Unklar und streitig aber war, ob und für welche Geschäfte eine Anordnung nach § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB vorlag oder nur ein rechtlich unverbindlicher Wunsch des Erblassers. Die Vorinstanz hatte die Frage, ob eine Anordnung nach § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB vorliegt, ergebnisoffen betrachtet und bei der Bewertung des Tatsachenmaterials einen Vor- oder Nachrang bei/in § 2216 BGB und etwaige Folgen für die Auslegung bzw. deren Grenze wohl nicht in Erwägung gezogen. Dies tat auch das BayObLG nicht.[50] Und da ein rechtlich unverbindlicher Wunsch zu § 2216 Abs. 1 BGB als maßgeblicher Norm führt, können wir festhalten, dass die Entscheidung des BayObLG in der Sache den oben gefundenen methodischen Befund stützt.

[50] BayObLG v. 29.3.1976 – BReg 1 Z 9/76 (Rn 165 ff. des Beschlusses).

2. Die Urteile des BGH vom 4.11.1987 und 14.5.1986 und der Beschluss vom 24.7.2019

In den Fällen, die den Urteilen des BGH vom 14.5.1986 und 4.11.1987 zugrunde lagen, war Testamentsvollstreckung für Vor- und Nacherbschaft angeordnet und der grundsätzliche und von Gesetzes wegen gegebene Anspruch des Vorerben auf die Nutzungen (§ 100 BGB)[53] zusätzlich im Testament als Reinertragsklausel verfügt. In beiden Urteilen unterstellte der BGH die Entscheidung über die Auskehr der Nutzungen der Norm des § 2216 Abs. 1 BGB.[54] Im Urteil vom 14.5.1986 sah der BGH zur Frage, ob die Reinertragsklausel ebenfalls eine Anordnung nach § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB enthalten könnte, keinen Weg zu entscheiden, weil hierzu vorinstanzlich "hinreichende Anhaltspunkte bisher nicht gestellt worden" seien.[55] Ähnlich im Urteil vom 4.11.1987. Auch hier ging es "nur" um die Reichweite der Reinertragsklausel bei der Vor-/Nacherbschaft gemäß § 100 BGB im Testament. Das Urteil vom 14.5.1986 formulierte zudem ausdrücklich, der Erbe könne die Herausgabe der Nutzungen "vorbehaltlich einer anders lautenden Verfügung von Todes wegen – nur dann verlangen, wenn das den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht."[56] Dieser Vorbehalt nimmt auf § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB und jede andere Verfügung von Todes wegen Bezug, die die Nachlassverwaltung gemäß § 2216 Abs. 1 BGB rechtlich beeinflussen kann. Der BGH setzt bei seiner Aussage eine dementsprechende Verfügung von Todes wegen gedanklich als existent voraus, während es bei uns darum geht zu klären, ob es eine solche überhaupt gibt. Und im Beschluss vom 24.7.2019 fehlte unstreitig eine Anordnung nach § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB, so dass sich das Methoden- und Auslegungsproblem erst gar nicht stellte.[57]

[51] BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 100/84, FamRZ 9186, 600, NJW-RR 1986, 1069; BGH v. 4.11.1987 – IVa ZR 118/86, FamRZ 1988, 279, NJW-RR 1988, 386.
[52] BGH v. 24.7.2019 – XII ZB 560/18, ZEV 2020, 41.
[53] Palandt/Weidlich, BGB 2019, § 2100 BGB Rn 11; § 2111 BGB Rn 9.
[54] BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 100/84 (Rn 10 der Gründe); BGH v. 4.11.1987 – IVa ZR 118/86 (Rn 15 der Gründe).
[55] BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 100/84 (Rn 13 der Gründe).
[56] BGH v. 14.5.1986 – IVa ZR 100/84 (Rn 10 der Gründe).
[57] BGH 24.7.2019 – XII ZB 560/18 (Rn 30 der Gründe).

3. Der Beschluss des BayObLG vom 27.6.1997 – 1Z BR 240/96

Hier mahnt das BayObLG bei der ergänzenden Auslegung zur Zurückhaltung.[58] Ebenso wie aus dem o.g. Beschluss des BayObLG vom 29.3.1976 ist erkennbar, wie schwierig und problematisch die Beweiserhebung und –würdigung in diesen Fällen ist. Der Appell zur Zurückhaltung geht darauf zurück, dass die Vorinstanz am klaren Wortlaut des Testaments rüttelte und zu einem Ergebnis kam, der dem Wortlaut widersprach. Zwar ging es um die Frage der Erbeinsetzung und nicht um § 2216 BGB, so dass methodische Erwägungen hierzu in der Entscheidung nicht zu finden sind. Doch wie im Beschluss des BayObLG vom 29.3.1976 wird klar, welches Ausmaß an Auslegungsbemühungen notwendig werden kann – und was hier erwartet wird.

[58] BayObLG v. 27.6.1997 – 1Z BR 240/96, ZEV 1997, 339; vgl. auch Firsching/Graf/Krätzschel, NachlassR 11. Aufl. 2019, § 9 Rn 20.

4. Der Beschluss des OLG München vom 9.7.2020 – 31 Wx 455/19

In materiell-rechtlicher Hinsicht ging es in diesem Entlassungsverfahren u.a. darum, dass sowohl das Nachlassgericht als auch der Senat nach dem Testament von einer Abwicklungsvollstreckung ausgingen und keine Anordnungen nach § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB erkennen konnten. Dabei wurde der Vortrag des entlassenen Testamentsvollstreckers (des Beschwerdeführers) mit wenigen Sätzen als unbegründet erachtet: auch weitere Dokumente, u.a. eine Vollmacht, hätten derartige Anordnungen (ebenfalls) nicht enthalten.[59] Der Beschwerdeführer könnte hier mit dem (mutmaßlichen) Erblasserwillen argumentiert haben. Die methodische Frage zu § 2216 BGB spielt keine Rolle, das OLG nimmt wie das Nachlassgericht an, dass Anordnungen nach § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB nicht gegeben sind. Wie beim o.g. Be...

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