Das Unterhaltsrecht gewinnt wieder an Bedeutung, wenn durch die steuerrechtliche Freigrenzenberechnung die 100.000-Euro-Grenze "gerissen wird". Dann ist nach den bisherigen unterhaltsrechtlichen Regeln der Unterhalt auszurechnen. Der unterhaltsrechtlich errechnete Elternunterhalt ist dann Einkommen des Elternteils i.S.d. § 82 SGB XII.

Rechtsfolge oberhalb der neueingeführten Jahreseinkünftegrenze ist der Übergang des Unterhaltsanspruchs bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen mit der Folge der Anwendbarkeit der §§ 412, 399-404, 406-410 BGB.

Die Prüfung von Bedarf und Bedürftigkeit der Eltern ändert sich dem Grunde nach durch das Angehörigenentlastungsgesetz nicht.

Von entscheidender Bedeutung ist allein, welchen Einfluss die neue 100.000 EUR-Grenze auf die unterhaltsrechtliche Prüfung der Leistungsfähigkeit des Kindes haben wird. Hier wird schon in den ersten Monaten der Neuregelung klar, dass die Vermischung von Sozialhilfe-, Steuer- und Unterhaltsrecht zu Schwierigkeiten führt.

Ob ein Kind, das die Einkommensgrenze überschreitet, tatsächlich elternunterhaltspflichtig wird, hängt von seinem unterhaltsrechtlichen Einkommen, seinen unterhaltsrechtlichen Abzugsposten und seinem Selbstbehalt ab. Die Ermittlung unterscheidet sich z.T. gravierend vom Steuerrecht.

1. Korrektur der steuerrechtlichen Einkünfteberechnung möglich?

Für die Feststellung, ob ein Elternunterhaltsanspruch besteht, ist vom Jahresbruttoeinkommen des Unterhaltspflichtigen auszugehen. Zum unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen gehören vorrangig die Einkünfte des Unterhaltspflichtigen nach Maßgabe sämtlicher Einkunftsarten i.S.d. EStG. Es versteht sich von selbst, dass Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Boni, Tantiemen, Prämien, Provisionen, Steuerrückerstattungen etc. zum unterhaltsrechtlich anrechnungsfähigen Einkommen gehören.

Das ist aber nicht abschließend. Das Unterhaltsrecht nimmt häufig noch diverse unterhaltsrechtliche Korrekturen vor, für die nunmehr fraglich ist, ob sie beim Überschreiten der 100.000-Euro-Grenze weiterhin so vorgenommen werden können wie bisher.

a) Beispiel schwankende Einkünfte

Schwankende Einkünfte – zumeist aus selbstständiger Tätigkeit – werden unterhaltsrechtlich dadurch nivelliert, dass man aus einem längeren Zeitraum einen Durchschnitt bildet. Da Bilanzen und Steuerbescheide regelmäßig erst längere Zeit nach Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums vorgelegt werden können, wird bei Selbstständigen das unterhaltsrechtliche Einkommen aus den drei dem jeweiligen Unterhaltszeitraum vorausgehenden Kalenderjahren ermittelt, es sei denn, dass aus dem so ermittelten Einkommen kein zuverlässiger Schluss auf die Höhe des laufenden Einkommens getroffen werden kann. Werden die Einkünfte durch außergewöhnliche Ereignisse geprägt (z.B. durch die Folgen der einschränkenden Maßnahmen im Gefolge der Covid-19-Pandemie) oder durch steuerliche Sondereinflüsse verzerrt, die sich im maßgeblichen Dreijahreszeitraum offensichtlich nicht ausgleichen, sind diese unterhaltsrechtlich außer Betracht zu lassen.

Fraglich ist, ob unterhaltsrechtlich auch weiterhin auf den Durchschnitt der Einkünfte aus mehreren Kalenderjahren abgestellt werden kann. Für die Grundsatzfrage des Überschreitens der Jahreseinkommensgrenze im Sinne des § 16 SGB IV ist dies gesichert nicht zulässig. Dort kommt es nur auf das steuerliche Einkommen im abgelaufenen Kalenderjahr an. Damit ist dann unterhaltsrechtlich aber auch die Weichenstellung erfolgt. Eine Korrektur aus drei Jahren kann nicht erfolgen, denn dann würde ggf. auch in Jahren zu zahlen sein, in denen das unterhaltspflichtige Kind die steuerrechtliche Grenze nicht überschreitet.

b) Beispiel Abfindung – wie wird sie berücksichtigt?

Nach der Rechtsprechung des BGH kann eine Abfindung je nach ihrem arbeitsrechtlichen Hintergrund unterschiedlichen Zwecken dienen. Die arbeitsrechtliche Qualifikation der Abfindung lässt keine zwingenden Rückschlüsse auf die Behandlung der Abfindung bei der Berechnung des unterhaltsrechtlichen Einkommens zu. Art und Umfang der Heranziehung der Abfindung zur Errechnung von Elternunterhalt wird unterhaltsrechtlich entschieden und zu diesem Zweck wird der steuerrechtlich ermittelte Betrag ggf. unterhaltsrechtlich korrigiert. So kann eine Abfindung bei unterhaltsrechtlicher Betrachtung z.B. dann nicht herangezogen werden, wenn der Unterhaltspflichtige im Anschluss an das beendete Arbeitsverhältnis sogleich eine neue Arbeitsstelle erlangt, die ihm ein der früheren Tätigkeit vergleichbares Einkommen einbringt.[3] Kann der Unterhaltspflichtige dagegen sein früheres Einkommen nicht mehr erzielen, so muss die Abfindung nach der Rechtsprechung unterhaltsrechtlich grundsätzlich zur Aufstockung des verringerten Einkommens eingesetzt werden. Die Abfindung als Ersatz des fortgefallenen Arbeitseinkommens dient in solchen Fällen dazu, die bisherigen wirtschaftlichen Verhältnisse aufrechterhalten zu können.[4] Je nach den Umständen des Falles, insbesondere bei dauerhafter Arbeitslosigkeit oder aber bei nicht bestehenden Aussichten auf eine künftige Steigerung des Einkommens, kann die Abfindung auf einen längeren Zeitraum zu verteilen sein. Auf welche...

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