Auf die Corona-Krise hat der deutsche Gesetzgeber schnell, entschlossen und zielgerichtet zunächst durch das Gesetzespaket vom 27.3.2020 reagiert.[28] Hinzu treten die Initiativen auf europäischer Ebene.[29]

Das BMF hat mit dem BMF-Schreiben vom 19.3.2020 an die obersten Finanzbehörden der Länder steuerliche Maßnahmen zur Berücksichtigung der Auswirkung des Corona-Virus dargestellt, um "den Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen zur Vermeidung unbilliger Härten entgegenzukommen".[30]

Die Tatsache, dass der Gesetzgeber angesichts der enormen, auf ihn einstürzenden Herausforderungen durch die Corona-Krise das hier erörterte Spezialproblem der Nachversteuerung (noch) nicht geregelt hat, darf ihm sicherlich nicht angelastet werden. Jedoch ist m.E. davon auszugehen, dass im Sinne der Entscheidung des BFH vom 4.2.2010 vermutet werden kann, dass der Gesetzgeber, hätte er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage geregelt, sie im Sinne eines Erlasses entschieden hätte.[31]

Dieses vom BFH zur insolvenzbedingten Nachversteuerung entwickelte Prüfkriterium kann nach meiner Auffassung auf die Nachversteuerung wegen Unterschreitung der Mindestlohnsumme übertragen werden. Erfreulicherweise besteht in Deutschland die Möglichkeit, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie durch die Beantragung von Kurzarbeitergeld abzufedern.[32] Trotzdem können in Folge der Krise Entlassungen notwendig werden, die zu einer Unterschreitung der Mindestlohnsumme führen. Auch in diesen Fällen ist – ebenso wie in denjenigen der "Mehrfachverstöße" – ein Erlass der nachzuerhebenden Steuer gerechtfertigt.[33]

[28] Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht BGBl I 2020, 569; Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2020 (Nachtragshaushaltsgesetz) BGBl I 2020, 556; Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, BGBl I 2020, 587; Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Sozialschutzpaket) BGBl I 2020, 575; zum weiteren Hilfspaket für Unternehmen, das am 22.4.2020 im Finanzausschuss des Bundestages erörtert wurde vgl. FAZ vom 23.4.2020 S. 15.
[29] Vgl. hierzu Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.3.2020 zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1303/2013, (EU) Nr.: 1301/2013 und (EU) Nr.: 508/2014 im Hinblick auf spezifische Maßnahmen zur Mobilisierung von Investitionen in die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten und andere Sektoren von deren Volkswirtschaften zur Bewältigung des COVID-19-Ausbruchs (Investitionsinitiative zur Bewältigung der Coronavirus-Krise) COM (2020) 113 final; Verordnung (EU) 2020/461 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2020 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2012/2002 des Rates zur finanziellen Unterstützung von Mitgliedstaaten und von Ländern, die ihren Beitritt zur Union verhandeln und die von einer Notlage größeren Ausmaßes im Bereich der öffentlichen Gesundheit schwer betroffen sind, hierzu Pressemitteilung des Ratspräsidenten Charles Michel vom 10.4.2020 zur Übereinkunft in der Eurogruppe https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2020/04/10/statement-by-the-president-of-the-european-council-charles-michel-following-the-agreement-of-the-eurogroup/; Presseerklärung von Rat und Kommission vom 24.4.2020 "Europäischer Rat bittet Kommission um Vorschlag für Wiederaufbau mit Hilfe des EU-Haushalts: https://ec.europa.eu/germany/news/20200424-corona-wiederaufbau_de."
[30] BMF-Schreiben vom 19.3.2020 IV A 3-S0336/19/1007:002, BStBl I 2020, 262; vgl. auch die drei BMF-Schreiben vom 9.4.2020 DStR, 2020, 795, 798 sowie den gleich lautenden Erlass zu gewerbesteuerlichen Maßnahmen, DStR 2020, 798, hierzu Wagner/Weber, DStR 2020, 745.
[31] Hierzu BFH BStBl II 2010, 636, 664 Rn 11.
[32] Zur Erhöhung der Leistungen vgl. FAZ vom 24.4.2020, S. 15.
[33] Ebenso müsste verfahren werden, wenn als Folge der Pandemie eine Reinvestition im Sinne von § 13a Abs. 6 Satz 3 und 4 nicht möglich ist (hierzu oben Fn 22). Der Gedanke sollte auch auf die Fälle übertragen werden, in denen bei Erwerben von Todes wegen die Umsetzung des vorgefassten Plans des Erblassers im Sinne von § 13b Abs. 5 ErbStG daran scheitert, dass wegen einer pandemiebedingten Liquiditätsbelastung nicht genügend Mittel zur Investition zur Verfügung stehen (vgl. hierzu RE 13b.24 ErbStR 2019). Auch soweit solche Investitionen als Folgen der Corona-Krise nicht möglich sind, sollte die Zurechnung zum Verwaltungsvermögen im Sinne von § 13b Abs. 5 ErbStG unterbleiben.

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