Der Entscheidung des LG Essen lag ein klassisches Behindertentestament zugrunde. Unter einem klassischen Behindertentestament wird die Erbeinsetzung des behinderten bzw. unter Leistungsbezug stehenden Kindes zum nicht befreiten Vorerben mit gleichzeitiger Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung gemäß § 2209 BGB verstanden. Nacherbe wird regelmäßig ein anderes Kind der Erblasser, welches unter Umständen auch die Testamentsvollstreckung führt. Aufgabe des Testamentsvollstreckers ist die Sicherstellung des Vermögens unter Auskehrung von Nutzungen und Früchten an den Vorerben. Die Nutzungen sind so auszukehren, dass sie den Leistungsbezug nicht gefährden. Hierzu erfolgt gemäß § 2216 Abs. 2 BGB eine Verwaltungsanweisung an den Testamentsvollstrecker. Vom klassischen Behindertentestament abzugrenzen ist die sog. Vermächtnislösung, bei der wegen des schuldrechtlichen Charakters des Nachvermächtnisses die Wirksamkeit des Anspruchs gegenüber dem Sozialleistungsträger ungewiss ist.

Der Sozialleistungsträger ging im Entscheidungssachverhalt davon aus, dass allein der Pflichtteilsanspruch des behinderten Kindes ausreichend ist, um die Kosten seiner Versorgung bis zum prognostizierten Ende seiner Leistungsverpflichtung im Rahmen der Eingliederungshilfe sicherzustellen. Er begehrte daher im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft über den Bestand des Nachlasses sowie evtl. getätigter Schenkungen und des Weiteren die Feststellung, dass dem Leistungsempfänger ein Pflichtteilsrecht zusteht. Zur Begründung führte der Sozialleistungsträger aus, dass hier wegen des vermutet großen Vermögens ein im Sinne von § 138 BGB sittenwidriges Behindertentestament vorliegt und die Erbeinsetzung damit nichtig ist.

Mit seiner Endscheidung hat das LG Essen das Ansinnen des Sozialleistungsträgers abgewiesen. Das Behindertentestament sei nicht sittenwidrig und damit nichtig. In der Folge stehe dem Sozialleistungsträger auch kein überleitbarer Pflichtteilsanspruch zu, da die Erbeinsetzung im Behindertentestament Bestand hat. Die Erbausschlagung ist höchstpersönlich und nicht überleitbar (vgl. auch Mensch, BWNotZ 2009, 162; ders., BWNotZ 2013, 144; ders., NWB-EV 2014, 124 mwN). Zur Begründung führte das LG Essen aus, dass die Höhe des theoretischen Pflichtteilsanspruchs als Anknüpfungskriterium für die Wirksamkeit oder Sittenwidrigkeit eines Behindertentestaments ungeeignet sei. Die Beeinträchtigung des Sozialleistungsträgers ist in jedem Fall gegeben. Dennoch hat der Bundesgerichtshof die Konstruktion des klassischen Behindertentestaments mehrfach als zulässig erachtet (BGH Urt. v. 21.3.1990 – IV ZR 169/89 NJW 1990, 2055; Urt. v. 20.10.1993 – IV ZR 231/92 NJW 1994, 248; BGH Urt. v. 8.12.2004 – IV ZR 223/03 NJW-RR 2005, 369).

Dem LG Essen ist in seiner Entscheidung zuzustimmen, auch wenn es bedauerlich ist, dass die Begründung sehr übersichtlich kurz ausgefallen ist.

Das Behindertentestament ist, wie auch das LG Essen festgestellt hat, in der hier beschriebenen erbrechtlichen Lösung als wirksam anerkannt. Als wegweisendes Urteil im Komplex des Behindertentestaments, und damit auch hinsichtlich der Frage der Testier- und Handlungsfreiheit im Gegensatz zum Nachrangprinzip der Sozialhilfe in § 2 SGB XII, gilt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 2011 (BGH Beschl. v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10 ZErb 2011, 117). Hier hat der BGH festgestellt, dass ein Geschäftsfähiger berechtigt ist, einen Pflichtteilsverzicht zu erklären, auch wenn Sozialleistungsbezug droht bzw. bereits besteht. Nach dieser Entscheidung sind "nur" noch zwei Fragen offengeblieben. Zum einen, ob die Vermächtnislösung gleichfalls sicher vor Sozialleistungsregress schützt. Dies ist im Hinblick auf die bestehende erbrechtliche Lösung keine Frage von unbedingter praktischer Bedeutung. Zum anderen, ob eine Sittenwidrigkeit unter Umständen gegeben ist, wenn der Nachlass so hoch ist, dass eine besondere Beeinträchtigung des Sozialleistungsträgers, und damit letztlich der Allgemeinheit, vorliegt, (So Reimann, DNotZ 1992, 241; offengelassen von Mensch, BWNotZ 2009, 162).

Nach der hier vertretenen Ansicht ist die Testierfreiheit als Ausfluss der grundgesetzlich geschützten persönlichen Handlungsfreiheit und der Eigentumsgarantie nicht weniger schützenswert, wenn ein subjektiv als umfänglich empfundenes Vermögen vorliegt. Eine gegenteilige Ansicht würde letztlich, wie vom LG Essen in seiner Begründung ebenfalls angedeutet, zu einer Benachteiligung vermögender Erblasser führen. Die gesetzlich eindeutig zulässige Gestaltung einer Vor- und Nacherbschaft und einer Testamentsvollstreckung kann nicht durch die Kombination beider Instrumente im Zusammenspiel mit umfänglichen Vermögen zu einer Sittenwidrigkeit führen.

Der BGH hat sich mit der grundsätzlichen Frage nach der Sittenhaftigkeit des Handels von Eltern bereits auseinandergesetzt (BGH Urt. v. 21.3.1990 – IV ZR 169/89 NJW 1990, 2055). Er führte hierzu aus: "Zu beurteilen ist vielmehr, ob es im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip anstößig er...

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