In Notfallsituationen haben die behandelnden Mediziner nicht die Möglichkeit, ihre Maßnahmen auf eine mehrere Seiten lange Patientenverfügung zu stützen (zumal diese grundsätzlich nicht immer vor Ort verfügbar oder bekannt ist). In solchen Situationen könnte ein Tattoo mit einer wirksamen Patientenverfügung daher von großem Nutzen für den Patienten, wie auch für die behandelnden Ärzte, sein.

1. Für die Bürger

Im Ergebnis muss interessierten Bürgern davon abgeraten werden, eine Patientenverfügung mittels eines Tattoos zu errichten.

Zwar bleibt es theoretisch möglich, eine wirksame Patientenverfügung durch ein Tattoo zu errichten, dies hat jedoch nur einen minimalen Nutzen für den Errichtenden: Für die behandelnden Ärzte wird die Befolgung eines Tattoos immer ein Risiko darstellen, welchem sie sich nicht aussetzen sollten (siehe 2.). Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die im Tattoo enthaltene Maßnahme beachtet wird. Im Endeffekt wird so durch das Tattoo mehr Unruhe gestiftet. Allein durch ein solches Tattoo kommt für den betroffenen Personenkreis nicht zum Ausdruck, ob der Patient sich über das Ausmaß seiner Entscheidung überhaupt im Klaren war und ob der tätowierte Wille überhaupt noch dem jetzigen Willen entspricht. Das Tattoo kann somit praktisch keine klassische Patientenverfügung ersetzen, sondern nur ein offenkundiges Indiz für den Patientenwillen sein. Aber auch diese Erkenntnis kann den Aufwand, der betrieben werden muss, um ein wirksames Patientenverfügungstattoo zu errichten, nicht rechtfertigen.

Für die beschriebenen Notsituationen sollte vielmehr auf andere Mittel zurückgegriffen werden. Ein Hinweis auf die Patientenverfügung könnte z.B. im Portemonnaie deponiert werden.[51] Eine andere Möglichkeit, welche von internetgestützten Patientenverfügungsanbietern angeboten wird, ist ein sog. Notfall-QR. Dieser QR-Code kann auf die Gesundheitskarte oder den Personalausweis geklebt werden. Auch Schlüsselanhänger mit Notfall-QR zur Patientenverfügung sind erhältlich. Durch das QR-Prinzip können die Patientenverfügung schnell über eine Internetverbindung abgerufen werden. Bei einer Hinterlegung der Patientenverfügung bei dem jeweiligen Verein oder Unternehmen kann dann online eingesehen werden, ob ein Hinweis auf eine gewünschte oder unerwünschte Reanimation enthalten ist. Zudem gibt es schon länger Schmuck mit der Aufschrift "Nicht reanimieren" und eingraviertem Namen oder Stempelaufdrucke, welche regelmäßig erneuert werden müssen. Solche Lösungen sind in Ländern wie Kanada und den USA schon verbreitet.[52] Alle diese genannten Maßnahmen stellen zwar selbst keine Patientenverfügung dar, können jedoch ein Indiz für eine bestehende Patientenverfügung geben und so im Notfall dafür sorgen, dass der Wille der Patienten schnell erkannt und beachtet wird. Zudem sind diese Möglichkeiten nicht so schwerwiegend wie ein Tattoo und können auch einfacher widerrufen werden.

2. Lösung für den behandelnden Arzt

Ein Patientenverfügungstattoo könnte grundsätzlich auch für die behandelnden Ärzte eine Entlastung darstellen. Liegen allerdings Zweifel vor, muss der Arzt "in dubio pro vita" handeln, ansonsten kann er sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen. Im Gegensatz dazu macht sich der Arzt "nur" wegen Körperverletzung gem. § 223 StGB strafbar, wenn eine Reanimation vorgenommen wird, obwohl eine Patientenverfügung dagegenspricht. Ärzte müssen im Notfall innerhalb von Sekunden entscheiden und werden sich im Zweifel, schon aus Sorge vor Strafverfolgung, immer für lebenserhaltende Maßnahmen entscheiden.[53] Für die behandelnden Ärzte kann sich allein aus der tätowierten Patientenverfügung nicht ergeben, ob diese auch wirklich wirksam errichtet wurde und deshalb auch für sie bindend ist. Der Wunsch des Patienten könnte beispielsweise nicht mehr aktuell sein oder der Patient war sich bei Errichtung der Patientenverfügung über das Ausmaß der Entscheidung nicht im Klaren.[54]

Den Ärzten kann daher nur geraten werden, sich nicht an das Tattoo zu halten. Die tätowierte Patientenverfügung kann jedoch als Indiz für eine bestehende klassische Patientenverfügung zu werten sein, sodass der Arzt hier nach der notfallmedizinischen Versorgung Nachforschungen anstellen (lassen) sollte. Infrage steht an dieser Stelle aber auch, ob Ersthelfer immer reanimieren müssen, wie es das Gesetz momentan noch vorsieht. Hier sollte vor allem bei aussichtslosen Fällen die rechtliche Lage anders gestrickt sein und die Ersthelfer keine Angst vor einer Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung haben müssen.

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