Die Anerkennung dieser spezifischen Bedürfnisse älterer Menschen im Erbrecht könnte auch ohne das "Testament älterer Menschen" bereits vollzogen sein, wenn es darauf ausgerichtete Testamente bereits gäbe. Sind möglicherweise bereits die Grundmuster herkömmlicher Testamente, insbesondere das gemeinschaftliche Testament, gleichsam "Blaupausen" des Testaments älterer Menschen?[18]

Für das typische "Berliner Testament", das auch bei Eheleuten der Regelfall der letztwilligen Verfügung ist, weist Langenfeld darauf hin, dass dies geeignet sei, für die "Post-Kinder-Phase" angemessene Lösungen zu bieten. Im Normalfall sei die Versorgung des überlebenden Ehepartners das Primärziel und die Erhaltung des Vermögens für die nachfolgende Generation trete dabei in den Hintergrund.[19] Die Feststellung, dass Erblasser in unterschiedlichen Lebensphasen oft unterschiedliche erbrechtliche Ziele verfolgen und Eheleute dabei in einem bestimmten Alter die gegenseitige Absicherung in den Vordergrund stellen, ist sicher zutreffend. Sie trifft aber vor allem auf den Zeitraum zu, in dem die Erblasser keine Notwendigkeit mehr sehen, ihre Kinder zu unterstützen, sie selbst aber noch einer beruflichen Tätigkeit nachgehen. Es geht dabei in der Regel darum, dem Überlebenden im Falle des Todes eines Ehepartners den geschaffenen Lebensstandard, etwa die selbst genutzte Immobilie, zu erhalten. Auch für die hier näher untersuchte Lebensphase mag diese Motivation eine Rolle spielen, allerdings erkennen ältere Erblasser oft, dass wegen der gesundheitlichen Situation eine Aufrechterhaltung dieses Lebensstandards, jedenfalls in der gewohnten Weise, nicht mehr auf Dauer möglich ist. Das eigene Haus kann auf längere Sicht nicht mehr bewirtschaftet werden, Reisen werden nur noch unter Anstrengungen möglich, Arztbesuche treten an die Stelle von Freizeitgestaltungen. Nicht selten kommt es in dieser Phase wieder zu einer Hinwendung zu der nachfolgenden Generation oder sogar der Enkelgeneration, zumal die Kinder sich ebenfalls bereits dem Rentenalter annähern. Um mit Langenfeld zu sprechen, es gibt nach der "Post-Kinder-Phase" in erbrechtlicher Hinsicht häufiger eine weitere und nunmehr auch längere Phase,[20] bei der sich die mit der letztwilligen Verfügung verfolgten Zwecke verändern können. An die Stelle der (wirtschaftlichen) "Absicherung" des Ehepartners tritt der Wunsch nach seiner "Versorgung", im wörtlichen Sinne und eben nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, wenn überhaupt noch ein Partner vorhanden ist. Hinzu kommt nicht selten der Wunsch, etwa (erhoffte) Pflegeleistungen Angehöriger zu honorieren. Mit anderen Worten, die gegenseitige Erbeinsetzung bei etwa 50-jährigen Eheleuten mit erwachsenen Kindern ist oft gewollt, bei älteren und gesundheitlich angeschlagenen 80-jährigen Eheleuten ist dies aber längst nicht mehr selbstverständlich. Oft will man dem anderen die etwa mit der eigenen Immobilie verbundenen Pflichten nicht mehr zumuten. Auch bieten sich Erleichterungen im Hinblick auf den Zugriff des Sozialhilfeträgers bei der Einsetzung der nachfolgenden Generation, wenn auch nicht in dem Umfang, wie dies bei lebzeitigen Übertragungen möglich ist. Weitere Verschiebungen der Vorstellungen und Ziele können sicher noch gefunden werden.

Dass derartige Zwecksetzungen älterer Menschen mit dem Berliner Testament, jedenfalls in seiner "Grundform"[21] nicht vollständig erreicht werden können, liegt damit auf der Hand.

[18] Vgl. Bengell/Reimann, oben Anm. 2.
[19] Langenfeld, Testamentsgestaltung (4. Aufl. 2010), S. 203.
[20] Vgl. Roth (Fn 10), S. 457, der Hinweise auf die Altersforschung gibt, wonach das "dritte Lebensalter" meist mit 60 Jahren und das "vierte Lebensalter" nicht vor dem 75. oder 80. Lebensjahr beginne.
[21] Vgl. Langenfeld, Fn 19, S. 211.

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