Einführung

Nicht selten zu lesen sind in letztwilligen Verfügungen Formulierungen wie "Das Vermächtnis soll nicht auf den Pflichtteil angerechnet werden" oder ähnliche Formulierungen, mit denen der Pflichtteilsberechtigte zusätzlich mit einem Vermächtnis bedacht wird, das den Pflichtteil unberührt lassen soll. Ausgeschlossen ist damit die Anwendung des § 2307 Abs. 1 BGB. Der Bedachte muss das Vermächtnis nicht ausschlagen, um den Pflichtteil zu erhalten (Satz 1), und das angenommene Vermächtnis wird nicht auf den Pflichtteil angerechnet (Satz 2). Zugewendet werden soll der volle Pflichtteil neben einem Vermächtnis. Der Pflichtteilsanspruch soll entgegen § 2307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht erlöschen, soweit das Vermächtnis reicht. Fraglich ist, ob der bestehen bleibende Pflichtteil neben dem Vermächtnis den Pflichtteilsvorschriften unterliegt oder als zusätzliches Vermächtnis, als sogenanntes Pflichtteilsvermächtnis, zu behandeln ist. Die Antwort hat weitreichende praktische Konsequenzen.

I. Praktische Auswirkungen der Abgrenzung Pflichtteil/Vermächtnis

Der Pflichtteilsanspruch verjährt in 3 Jahren, der Vermächtnisanspruch nach § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB aF in 30 Jahren, nunmehr kenntnisabhängig gem. § 195 BGB nach Ablauf der dreijährigen Regelverjährungsfrist, kenntnisunabhängig nach Ablauf der Höchstfrist von 30 Jahren gem. § 199 Abs. 3 a BGB nF.
Auf den Pflichtteil kann nach dem Erbfall nur durch einen Vertrag mit dem Erben verzichtet werden, ein Vermächtnis hingegen kann einseitig ausgeschlagen werden.
Die Ausschlagung eines Vermächtnisses ist keine Schenkung, wohl aber der vertragsmäßige Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch.
Im Gegensatz zum Vermächtnisanspruch ist der Pflichtteilsanspruch nach § 852 Abs. 1 ZPO nur pfändbar, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist.[1] Nur unter diesen Voraussetzungen kann gegen einen Pflichtteilsanspruch aufgerechnet werden (§ 394 BGB) und nur unter diesen Voraussetzungen kann ein Pflichtteilsanspruch zur Insolvenzmasse des Pflichtteilsberechtigten gehören (§§ 35, 36 Abs. 1 InsO). Eine andere Frage ist, ob der Schuldner seinen Pflichtteilsanspruch realisieren muss, um sich die Restschuldbefreiung offen zu halten.[2] Aber auch ein Vermächtnis muss wie eine Erbschaft vom Insolvenzschuldner als Voraussetzung für die Massezugehörigkeit angenommen werden (§ 83 Abs. 1 InsO).
Für die Berechnung des Pflichtteils ist der Nachlasswert im Zeitpunkt des Erbfalls maßgebend. Bei einem Vermächtnis hingegen ist es durchaus möglich, dass für die Berechnung ein anderer Zeitpunkt als der des Erbfalls gelten soll, der Vermächtnisnehmer also an Gewinn und Verlust des Nachlasses beteiligt wird.
In der Haftung im Außenverhältnis kann ein einzelner Erbe nur mit einem Vermächtnis beschwert werden. Für den Pflichtteil hingegen trifft alle Erben kraft zwingenden Rechts die Haftung im Außenverhältnis gemeinschaftlich.
Der Vermächtnisnehmer kann seinen Anspruch sowohl gegen den Erben als auch gegen den Testamentsvollstrecker geltend machen, wenn und solange der Nachlass dessen Verwaltung unterliegt, während der Pflichtteil stets gegen den Erben geltend zu machen ist, nie gegen den Testamentsvollstrecker (§ 2213 Abs. 1 Satz 3 BGB).
Bei der Berechnung der Überschuldung des Nachlasses, die alleiniger Insolvenzeröffnungsgrund ist, sind Vermächtnisansprüche nach § 1980 Abs. 1 Satz 3 BGB im Gegensatz zu Pflichtteilsansprüchen nicht zu berücksichtigen.
Beim Vermächtnis entsteht die Erbschaftsteuerpflicht bereits mit dessen Anfall, beim Pflichtteilsanspruch erst mit seiner Geltendmachung.
Schließlich unterliegt nur das Vermächtnis dem verhältnismäßigen Kürzungsrecht des Erben nach § 2318 BGB wegen seiner Pflichtteilslasten.[3]
[1] Vor der Anerkennung oder Rechtshängigkeit wird von der Rechtsprechung die Pfändung des Pflichtteilsanspruchs zwar für zulässig erachtet, jedoch nur in seiner zwangsweisen Verwertbarkeit als aufschiebend bedingter Anspruch, BGHZ 123, 183; ferner Zöller-Stöber, Rn 3 zu § 852 ZPO mwN.
[2] Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn 9.10 m. Fn 30 und 9.24 m. Fn 71.
[3] Zu diesen und weiteren Unterschieden u. a. Staudinger/Haas, Rn 15, Bamberger/Roth/J. Mayer, Rn 4, und Soergel/Dieckmann, Rn 1, ferner MüKo/Lange, Rn 3, jeweils zu § 2304 BGB; sehr ausführlich Ferid, NJW 1960, 121, 122 f.

II. Bedeutung der Abgrenzung Pflichtteil/Vermächtnis für das Vermächtniskürzungsrecht des Erben nach § 2318 BGB

An dieser Stelle interessiert allein das Vermächtniskürzungsrecht des Erben nach § 2318 BGB.

1. Ist der dem pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer entgegen § 2307 Abs. 1 Satz 2 BGB zusätzlich, ohne Anrechnung des Vermächtnisses belassene Pflichtteil nichts anderes als ein zusätzliches Vermächtnis, ist dieses dann in Ansehung weiterer Pflichtteilslasten gegenüber Dritten dem Kürzungsrecht des Erben nach § 2318 BGB ausgesetzt.[4]

Steht aber das Vermächtnis selbstständig neben dem Pflichtteil, wird dieses also zusätzlich gewährt, ohne den Pflichtteil anzutasten, dann kommt ein Vermächtniskürzungsrecht des Erben auch in Ansehung des eigenen Pflichtteils des Vermächtnisnehmers in Betracht. § 2318 BGB regelt nämlich ohne Einschränkung ein Kürzungsrecht in Anbetracht...

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