Es gilt im Unterschied zum Ausgangsfall aber zugunsten des S2 § 2328 BGB zu berücksichtigen. Die Vorschrift regelt über § 2319 BGB hinaus, dass der pflichtteilsberechtigte Erbe seinen eigenen Ergänzungspflichtteil gegenüber den Ergänzungsansprüchen anderer Pflichtteilsberechtigter behalten darf,[24] und gibt ihm ein Leistungsverweigerungsrecht.[25] Dieses besteht allerdings nur gegen den Ergänzungsanspruch, nicht gegen den ordentlichen Pflichtteilsanspruch.[26]

Für einfach gelagerte Fälle der vorliegenden Art (geschiedener/verwitweter Erblasser; Schenkung an Dritten, pflichtteilsberechtigter Alleinerbe und pflichtteilsberechtigter Nichterbe) lässt sich die Regel aufstellen, dass das Leistungsverweigerungsrecht des § 2328 BGB abhängt von dem Verhältnis zwischen tatsächlichem Nachlass und dem Wert der Schenkung:

Bleibt der Wert der Schenkung hinter dem tatsächlichen Nachlass zurück, steht dem pflichtteilsberechtigten Alleinerben kein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber dem pflichtteilsberechtigten Nichterben zu, dessen Gesamtpflichtteil er voll zu tragen hat.
Ist der Wert der Schenkung mindestens doppelt so hoch wie der tatsächliche Nachlass, steht dem pflichtteilsberechtigten Alleinerben das Leistungsverweigerungsrecht regelmäßig in voller Höhe zu; der pflichtteilsberechtigte Nichterbe muss sich wegen seines Ergänzungsanspruchs unmittelbar an den Beschenkten wenden (§ 2329 BGB).

Gleiches gilt im Übrigen auch für den pflichtteilsberechtigten Alleinerben selbst, sofern durch den von ihm zu bedienenden ordentlichen Pflichtteil des Nichterben sein eigener Gesamtpflichtteil nicht mehr gewahrt ist.

 
Praxis-Beispiel

Der Nachlass beträgt 20.000,00 EUR, die Schenkung des Erblassers an einen Dritten 50.000,00 EUR. Die beiden Söhne des verwitweten Erblassers sind zu Erben zu je 1/2 eingesetzt. S1 ist mit einem Vermächtnis zugunsten S2 in Höhe von 5.000,00 EUR beschwert und hat die Erbschaft ausgeschlagen.

In diesem Falle verblieben S2 15.000,00 EUR (tatsächlicher Nachlass von 20.000,00 EUR ./. 5.000,00 EUR aufgrund des Pflichtteilsanspruchs von S1) und damit weniger als sein eigener Gesamtpflichtteil (17.500,00 EUR). Den Ergänzungsanspruch des S1 (17.500,00 EUR ./. 5.000,00 EUR) von 12.500,00 EUR muss S2 nicht erfüllen (§ 2328 BGB). Daraus folgt: S2 erhält 15.000,00 EUR, S1 5.000,00 EUR. Die Lebensgefährtin muss an S2 2.500,00 EUR und an S1 12.500,00 EUR zahlen, sodass ihr 35.000,00 EUR verbleiben.

Übersteigt der Wert der Schenkung den tatsächlichen Nachlass nicht um mehr als das Doppelte, so haben der pflichtteilsberechtigte Alleinerbe und der Beschenkte für den Ergänzungsanspruch des pflichtteilsberechtigten Nichterben anteilig aufzukommen, wobei der auf den Beschenkten entfallende Betrag mit dem Wert der Schenkung steigt.
[24] Gottwald, Pflichtteilsrecht (2000), § 2328 Rn 1.
[25] J. Mayer, in: Mayer/Süß/Tanck et al., Handbuch Pflichtteilsrecht (2003), § 8 Rn 180.
[26] BHGZ 85, 274, (284).

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