I.

Die Klägerin macht gegen den Beklagten, testamentarischer Erbe der am 28.8.2016 im Alter von 94 Jahren verstorbenen Erblasserin, Ansprüche aus einem Vermächtnis geltend. Am 20.8.2016 errichtete die Erblasserin ein Schriftstück, in dem sie verfügte, dass die Klägerin "von meinem Vermögen 50.000 EUR erben …" solle. Der Beklagte macht geltend, die letztwillige Verfügung sei gemäß § 2247 Abs. 4 BGB unwirksam, weil die Erblasserin im Zeitpunkt der Verfassung des Schriftstücks nicht mehr lesefähig gewesen sei.

II.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen F. vom 16.3.2020. Mit Urteil vom 29.9.2020 hat es der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Sachverständige ergänzend angehört sowie Zeugen vernommen. Mit dem angefochtenen Urteil hat es die Berufung zurückgewiesen. Nach seiner Auffassung hat der Beklagte nicht den Beweis erbringen können, dass die Erblasserin wegen Leseunfähigkeit testierunfähig gewesen sei. Dies ergebe sich nicht allein aus der Aussage der Zeugin S. Demgegenüber ergebe sich aus der Aussage des Zeugen P., dass die Erblasserin noch im August 2016 mehrere Schriftstücke eigenhändig unterschrieben habe. Schließlich habe die Sachverständige überzeugend erläutert, dass keine Zweifel an der Lesefähigkeit der Erblasserin zur Zeit der Errichtung des Testaments bestanden hätten. Einer weiteren Beweisaufnahme habe es nicht bedurft. Für die Einvernahme der Zeugin W. gelte dies bereits deshalb, weil die Beweisbehauptungen des Beklagten nicht entscheidungserheblich seien und es sich im Übrigen um reine Schlussfolgerungen handele.

III.

Die Beschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Er rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht dem Beweisantrag auf Vernehmung der Zeugin W. hätte nachgehen und eine Ergänzung des Sachverständigengutachtens hätte veranlassen müssen.

1. Gemäß § 2247 Abs. 4 BGB kann derjenige, der Geschriebenes nicht zu lesen vermag, kein eigenhändiges Testament errichten. Die Darlegungs- und Beweislast für die mangelnde Lesefähigkeit des Erblassers trägt grundsätzlich derjenige, der sich auf diesen Einwand beruft (OLG Hamburg ZErb 2016, 186 [juris Rn 47]; OLG Dresden, Beschl. v. 12.1.2015 – 17 W 1341/14, juris Rn 6; OLG Düsseldorf OLGR 2000, 240 [juris Rn 126]; BayObLG FamRZ 1987, 1199, 1200). Kann die Beweisaufnahme keine Klarheit hierüber erbringen, so ist vom Regelfall auszugehen, nämlich der Lesefähigkeit des Testierenden (OLG Hamburg a.a.O.).

2. Zwar hat das Berufungsgericht diese Grundsätze zutreffend zugrunde gelegt und ist von einer Beweislast des Beklagten ausgegangen. Soweit es sich nach dem Ergebnis der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme die Überzeugung gebildet hat, dass der Beklagte den Beweis der Leseunfähigkeit der Erblasserin nicht habe erbringen können, beruht dies aber auf einem Verstoß gegen den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör. Das Berufungsgericht hat erhebliche Beweisanträge des Beklagten übergangen und den Kern seines Vortrags nicht vollständig zur Kenntnis genommen.

a) Das Berufungsgericht hat sich den Ausführungen der Sachverständigen angeschlossen, dass keine Zweifel an der Lesefähigkeit der Erblasserin zur Zeit der Errichtung des Testaments bestanden hätten. Insoweit hatte die Sachverständige in ihrem schriftlichen Gutachten vom 16.3.2020 ausgeführt, es ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin nicht in der Lage gewesen sei, das Schriftstück vom 20.8.2016 zu lesen. Denn von den verschiedenen Möglichkeiten, die Lesbarkeit der Schrift weiter zu erhöhen, habe sie keinen Gebrauch gemacht. Es habe offenbar nicht die Notwendigkeit bestanden, sich solcher Hilfsmittel zu bedienen (Seite 27 des Gutachtens). Zusammenfassend lasse sich feststellen, die erhobenen Befunde sprächen dafür, dass die Erblasserin mit Hilfe ihrer Brille zum fraglichen Zeitpunkt noch in der Lage gewesen sei, das Vermächtnis vom 20.8.2016 zu lesen. Soweit sich das Berufungsgericht den Ausführungen der Sachverständigen angeschlossen hat, hat es den vom Beklagten mehrfach unter Beweisantritt von Zeugen gehaltenen Vortrag übergangen, dass die Erblasserin im August 2016 keine Brille als Lesehilfe mehr besessen habe (vgl. Schriftsätze vom 23.5.2018, Seite 5; vom 15.9.2020, Seite 2; vom 5.1.2021, Seite 6). Die Erblasserin habe auch mit den beiden zuletzt erworbenen Brillen nicht mehr lesen können. Die Zeugin S. habe diese Brillen daher auf ihr Bitten in dem Optikergeschäft zurückgegeben. Zum Ankauf der von der Erblasserin gewünschten Lupenbrille sei es dann in der Folgezeit indessen nicht mehr gekommen. Soweit die Revisionserwiderung vorbringt, die Erblasserin habe nur mit den zuletzt angeschafften Brillen nicht mehr lesen können, kann der Vortrag des Beklagten so nicht verstanden werden. Sollte die...

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