Lehrbuch des Privatrechts (2 Teilbände, Bd I: XXXV, 1212 Seiten, Bd. II: XXVIII 1213–2387 Seiten)

Verlag Mohr Siebeck, Tübingen, 2010, Leinen, EUR 279,–

ISBN 978-3- 16-150421-1

Muscheler, jedem, der sich mit Erbrecht beschäftigt, als profunder Wissenschaftler bestens bekannt, hat ein Opus Magnum vorgelegt und das während seiner aktiven Zeit als Rechtsprofessor in Bochum und nicht etwa in der "ruhigeren" Emeritus-Phase. Das ist mit Blick auf seine sonstigen zahlreichen Fachveröffentlichungen (etwa auch zum Stiftungsrecht) und ob der jahrelangen wissenschaftlichen Arbeit, die ersichtlich in den beiden Erbrechtsbüchern steckt, sehr zu bewundern. Es ist für die Arbeit in der Praxis zudem sehr zu begrüßen. Wird doch das Erbrecht in der Beratungspraxis seit Jahren immer wichtiger und dabei ist kein Ende abzusehen. So gelangt schon seit geraumer Zeit das in der Nachkriegszeit aufgebaute Vermögen in die nächste Generation. Nicht nur in der Unternehmenswelt gibt es schwierige Nachfolgeprobleme.

Was bietet das Buch dem Leser ganz konkret? Die Verlagswerbung meint: In seinem zweibändigen Lehrbuch "Erbrecht" behandelt Karlheinz Muscheler das gesamte Gebiet des Erbrechts in wissenschaftlich vertiefter und zugleich praxisbezogener Weise. Das ist eine große Verheißung. Um das Ergebnis meiner Stichproben vorwegzunehmen: Die Verlagswerbung übertreibt nicht. Das ist ein großes Lob in der heutigen Zeit der allgemeinen Überhöhungen und Übertreibungen, die wir nicht nur in der Werbung finden. Lediglich der Hinweis, dass es sich um ein "Lehrbuch" handele, ließ mich zunächst ein wenig "zucken". Richtet sich doch ein Lehrbuch gemeinhin an Studenten. Die werden ca. 2.400 Seiten neben allem anderen wohl nicht lesen. Das hat mir eine kleine, allerdings nicht repräsentative, "Umfrage" gezeigt. Das führt mich dann am Ende dieser Rezension zu einem Vorschlag. Außerdem bin ich inzwischen zu der Erkenntnis gelangt, dass Muscheler ein Lehrbuch vor allem für Rechtswissenschaftler, Rechtsanwälte, Richter und Notare vorgelegt hat.

Man kann einem solchen Werk in einer Kurzbesprechung nicht wirklich gerecht werden. Ich will dennoch versuchen, den Leser auf eine kleine Reise ("Kurztrip") durch die zwei Bände mitzunehmen. Was zeigen uns die Stichproben?

Beim Schmökern habe ich mich immer wieder festgelesen. Muscheler schreibt eben bekanntermaßen ebenso gekonnt wie profund. Ich freue mich sehr auf die Fortsetzung der Lektüre. Die am 1.1.2010 in Kraft getretene Erbrechtsreform, die am 1.9.2009 in Kraft getretene Reform des erbrechtlichen Verfahrens (FamFG) und die Reform der Erbschaftsteuer zum 1.1.2009 hat Muscheler in vollem Umfang berücksichtigt. Das haben wir nicht anders erwartet.

Rechtwissenschaft ist bekanntermaßen eine mehr oder weniger werthaltige Wissenschaft, wie uns Julius Hermann von Kirchmann 1847 in seinem bekannten Vortrag über "Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft" vor Augen geführt hat. Muscheler ist mit seinem Werk dennoch nicht bei dem aktuellen materiellen Erbrecht stehen geblieben. Er ist zu den Grundlagen für die bei der Anwendung des Erbrechts erforderlichen Wertungen vor- und durchgedrungen. Er hat sie auf 666 Seiten für uns herausgearbeitet und dargestellt. Das ist eine ganz besonders wichtige Leistung.

Muscheler stellt in seinem Buch in dieser Form und diesem Umfang zum ersten Mal den einzelnen besonderen Materien des Erbrechts einen Allgemeinen Teil des Erbrechts voran. Er beginnt mit den "Grundlagen der Grundlagen des Erbrechts". (Eine ebenso köstliche wie erhellende Überschrift.) Sein erster Satz in Teil 1, Kapitel 1, § 1 lautet: Warum gibt es überhaupt Erbrecht und nicht vielmehr kein Erbrecht? (Was für ein Buchanfang!) Er schreibt dann über unsere Vorstellungen vom Tod und über die Legitimität des privaten Erbrechts. Der Leser bekommt so rasch ein Vorstellung davon, wie ernst es Muscheler mit den "Grundlagen der Grundlagen" meint. Es geht weiter mit dem "Verhaltensmodell des homo oeconomicus" (§ 2 "Erbschaft überhaupt"). Selbst die Begriffsklärungen lesen sich erfrischend und erhellend, auch wenn man sich schon weit über 20 Jahre mit dem Erbrecht beschäftigt hat. Beispiele: "Das ,Dauerhafte‘ des Stiftens, das ,Flüssige‘ des Schenkens und das ,Natur- und Familienbezogene‘ des Vererbens zeigt sich auch in der Etymologie ..." (Rn 26). Die Abgrenzung der Willensäußerung von der Vorstellensäußerung (Rn 171 ff) und schließlich der Gefühlsäußerung wie z. B. einer Verzeihung (Rn 180 ff).

Im Dienste der "Rechtswissenschaft" und zugleich der Rechtspraxis verlässt Muscheler mutig immer wieder gewohnte Pfade. Das zeigen z. B. sein kleiner, aber fundierter Ausflug in die Psychologie (Rn 32 ff) und seine umfangreichen Statistiken (Rn 236 ff). Besonders lesenswert finde ich etwa auch seine Ausführungen zum "Personalitätsprinzip" (Rn 517 ff). Mit seinem Allgemeinen Teil des Erbrechts, der nach drei Paragrafen zu den "Grundlagen der Grundlagen" über sechs Paragrafen zu den "Grundlagen des Erbrechts" in neun Paragrafen zu den "G...

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