1. Kündigungszugang/Zugangsvereitelung/Klagefrist

Wird eine Arbeitgeberkündigung nicht innerhalb von drei Wochen nach deren Zugang angefochten, indem der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage bei dem ArbG erhebt, so wird die Kündigung als wirksam fingiert, §§ 4 S. 1, 7 S. 1 KSchG. Im Urteil vom 26.3.2015 (2 AZR 483/14, NZA 2015, 1183) hatte sich der Zweite Senat des BAG mit der Rechtzeitigkeit der Klagerhebung und infolge dessen mit dem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zu befassen.

Im zugrunde liegenden Sachverhalt stritten die Parteien über die Wirksamkeit einer Arbeitgeberkündigung auf welche das KSchG anzuwenden war. Der Rechtsstreit ist davon abhängig, ob die Kündigung am 24.10.2012 oder am 22.10.2012 zuging, denn bei Letzterem wäre die Dreiwochenfrist des § 4 S. 1 KSchG nicht gewahrt, mit der Folge der Wirksamkeitsfiktion der Kündigung, § 7 S. 1 KSchG. Am 22.10.2012 fand im Büro der Arbeitgeberin ein Gespräch mit der Klägerin, Gesellschaftern und der vormaligen Prozessbevollmächtigten der Arbeitgeberin statt, bei welchem der Klägerin der Erhalt einer betriebsbedingten Kündigung mitgeteilt wurde. Damit war die Klägerin nicht einverstanden. Der weitere Inhalt der Besprechung ist zwischen den Parteien streitig. Die beklagte Arbeitgeberin trug vor, die vormalige Prozessbevollmächtigte habe der Klägerin bereits während des Gesprächs am 22.10.2012 die schriftliche Kündigungserklärung "hingehalten". Die Klägerin habe sich geweigert, diese entgegenzunehmen und habe das Büro verlassen, ohne das Kündigungsschreiben mitzunehmen. Am Nachmittag desselben Tages hätten zwei Mitarbeiter die Klägerin unter ihrer Wohnanschrift aufgesucht. Diese habe die Haustür zunächst nicht geöffnet. Schließlich sei sie den beiden Mitarbeitern in Dienstkleidung entgegengekommen. Auf deren Hinweis, sie wollten ihr einen Brief übergeben, habe sie erklärt, keine Zeit zu haben, und habe das Haus verlassen. Die Mitarbeiter hätten das Kündigungsschreiben daraufhin in den Hausbriefkasten der Klägerin eingeworfen. Die Klägerin hat demgegenüber erwidert, die beiden Mitarbeiter hätten sie erst am Nachmittag des 23.10.2012 aufgesucht. Sie hätten nur erklärt, sie sprechen zu wollen. Von einem Brief sei nicht die Rede gewesen. Sie sei in Eile gewesen, weil sie um 17:00 Uhr einen Termin bei ihrem Prozessbevollmächtigten gehabt habe.

Am Vormittag des 24.10.2012 fand die Klägerin ein Schreiben der Schuldnerin vom 22.10.2012 in ihrem Hausbriefkasten vor, mit welchem diese das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30.11.2012 kündigte. Die Kündigungsschutzklage der Klägerin ging am 14.11.2012 beim ArbG ein. Das LAG ging von einem Kündigungszugang erst am 24.10.2012 aus und gab der Klage statt.

Die Revision der Arbeitgeberin hatte im Sinne der Zurückverweisung Erfolg. Das LAG wird den Zugang des Kündigungsschreibens erneut zu prüfen haben. Eine verkörperte Willenserklärung unter Anwesenden geht zu und wird damit entsprechend § 130 Abs. 1 S. 1 BGB wirksam, wenn sie durch Übergabe in den Herrschaftsbereich des Empfängers gelangt. Es kommt nicht darauf an, ob der Empfänger die Verfügungsgewalt über das Schriftstück dauerhaft erlangt. Es genügt die Aushändigung und Übergabe, so dass er in der Lage ist, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Das Schreiben muss so in seine tatsächliche Verfügungsgewalt gelangen, dass für ihn die Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht. Der Zugang einer verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden ist daher auch dann bewirkt, wenn das Schriftstück dem Empfänger mit der für ihn erkennbaren Absicht, es ihm zu übergeben, angereicht und, falls er die Entgegennahme ablehnt, so in seiner unmittelbaren Nähe abgelegt wird, dass er es ohne Weiteres an sich nehmen und von seinem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Es geht dagegen nicht zu, wenn es dem Empfänger zum Zwecke der Übergabe zwar angereicht, aber von dem Erklärenden oder Überbringer wieder an sich genommen wird, weil der Empfänger die Annahme abgelehnt hat. In diesem Fall ist das Schreiben zu keinem Zeitpunkt in dessen tatsächliche Verfügungsgewalt gelangt.

Ein Fall der Zugangsvereitelung liegt vor, wenn der Empfänger durch eigenes Verhalten den Zugang einer Willenserklärung verhindert. Er muss sich dann so behandeln lassen, als sei ihm die Erklärung bereits zum Zeitpunkt des Übermittlungsversuchs zugegangen. Nach Treu und Glauben ist es ihm verwehrt, sich auf den späteren tatsächlichen Zugang zu berufen, wenn er selbst für die Verspätung die alleinige Ursache gesetzt hat. Sein Verhalten muss sich als Verstoß gegen bestehende Pflichten zu Sorgfalt oder Rücksichtnahme darstellen. Lehnt der Empfänger grundlos die Entgegennahme eines Schreibens ab, muss er sich nach § 242 BGB jedenfalls dann so behandeln lassen, als sei es ihm im Zeitpunkt der Ablehnung zugegangen, wenn er im Rahmen vertraglicher Beziehungen mit der Abgabe rechtserheblicher Erklärungen durch den Absender rechnen musste (was bei Arbeitsverhältnissen stets der Fall ist). Dass der Adressat eine Erklärung als früher zugegangen gegen sich gelten lassen muss, setzt voraus, dass d...

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