Hinweis:

Änderung der Rechtsprechung.

Kündigt ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos sowie hilfsweise ordentlich unter Wahrung der Kündigungsfrist und erklärt er im Kündigungsschreiben, dass der Arbeitnehmer für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung unter Anrechnung der Urlaubsansprüche von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt wird, wird der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Erholungsurlaub nicht erfüllt, wenn die außerordentliche Kündigung unwirksam ist. Nach § 1 BUrlG setzt die Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub neben der Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung auch die Zahlung der Vergütung voraus. Deshalb gewährt ein Arbeitgeber durch die Freistellungserklärung in einem Kündigungsschreiben nur dann wirksam Urlaub, wenn er dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt (BAG, Urt. v. 10.2.2015 – 9 AZR 455/13, ZAT 2015, 136).

Im entschiedenen Fall kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 19.5.2011 das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung und hilfsweise fristgemäß zum 31.12.2011. Im Kündigungsschreiben heißt es: "Im Falle der Wirksamkeit der hilfsweise fristgemäßen Kündigung werden Sie mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Überstundenansprüche unwiderruflich von der Erbringung Ihrer Arbeitsleistung freigestellt." Im Kündigungsrechtsstreit schlossen die Parteien im Gütetermin am 17.6.2011 einen Vergleich, in dem sie die ordentliche Beendigung zum 30.6.2011 regelten. Ziffer 5 lautet: "Die Beklagte rechnet das Arbeitsverhältnis bis zum 30.6.2011 ordnungsgemäß ab. Die Parteien sind sich insofern auch dahingehend einig, dass der Kläger bis zum Beendigungstermin von der Erbringung seiner Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt bleibt. [ ... ] Mit Erfüllung dieses Vergleichs sind alle wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, gleich ob bekannt oder unbekannt, erledigt. [ ... ]"

Der Kläger verfolgte mit seiner erneuten Klage Urlaubsabgeltungsansprüche im Umfang von 15,5 Urlaubstagen, indem er die ordnungsgemäße Abrechnung entsprechend Ziffer 5 des Vergleichs begehrte. Während das ArbG die Klage abwies, gab das LAG der Klage statt.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des BAG Erfolg. Zwar hat die Beklagte mit der Freistellungserklärung im Kündigungsschreiben den Anspruch des Klägers auf bezahlten Erholungsurlaub mangels einer vorbehaltlosen Zusage von Urlaubsentgelt nicht erfüllt. Der Urlaubsanspruch des Klägers ist deshalb nicht gem. § 362 BGB durch Erfüllung erloschen. Die Beklagte hat die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht um die dem Kläger noch zustehenden Urlaubstage hinausgeschoben. Mit Abrechnung vom 8.6.2011 hat sie Urlaubsabgeltung geleistet. Auch die im gerichtlichen Vergleich vom 17.6.2011 unter Ziffer 5 vereinbarte Freistellung des Klägers bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.6.2011 enthält keine Urlaubsgewährung. Schon dem Wortlaut nach ist eine Anrechnung auf den Erholungsurlaub des Klägers nicht vorgesehen. Aus der Formulierung, dass der Kläger bis zum Beendigungstermin von der Erbringung seiner Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt "bleibt", ergibt sich schon deshalb keine Urlaubsgewährung, weil nach den obigen Ausführungen die im Kündigungsschreiben erklärte Freistellung gerade keine ordnungsgemäße Urlaubserteilung darstellte. Die Klage war jedoch abzuweisen, weil die Parteien in dem vor dem ArbG geschlossenen Vergleich ihre Ansprüche durch die Erledigungsklausel abschließend regelten.

 

Hinweise:

  1. Das BAG folgt der Vorinstanz (LAG Hamm, Urt. v. 14.3.2013 – 16 Sa 763/12) bzgl. der Unionsrechtswidrigkeit der Auslegung des § 11 Abs. 2 BUrlG als (reiner) Fälligkeitsregel. In der Sache handelt es sich wohl um ein obiter dictum, tragend ist die Klageabweisung aufgrund der Auslegung des gerichtlichen Vergleichs.
  2. Das BAG schließt ohne dogmatische Festlegung auf die Einheitstheorie aus der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urt. v. 16.3.2006 – Robinson-Steel C-131/04, Rn 58, NZA 2006, 481 zur Richtlinie 93/104/EG; Urt. v. 20.1.2009 – Schulz-Hoff, C-350/06, Rn 60, NZA 2009, 135 zur Richtlinie 2003/88/EG) und dem unionsrechtlichen Grundsatz des "effet utile" eine hilfsweise Urlaubsgewährung nach fristloser Kündigung grundsätzlich aus. Das Unionsrecht verlangt strengere Anforderungen an die Erfüllungshandlung des Arbeitgebers als diese nach nationalem Recht bisher angelegt wurden (vgl. BAG, Urt. v. 28.1.1982 – 6 AZR 571/79, BAGE 37, 382; s.a. BAG, Urt. v. 8.3.1984 – 6 AZR 600/82, BAGE 45, 184). Das erhöht den Druck auf Arbeitgeber, weil sie unabhängig von der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung stets zusätzlich den Urlaub bezahlen müssen. Es gilt der Grundsatz: Alles oder Nichts!
  3. Die hilfsweise Gewährung von Urlaub durch den Arbeitgeber ist ausnahmsweise zulässig, wenn der Arbei...

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