I. Einführung

Die Verwaltungsgerichtsordnung gewährt vorläufigen Rechtsschutz gegenüber behördlichen Einzelakten nach den §§ 80 bis 80b VwGO und nach § 123 Abs. 1 VwGO, wobei die §§ 80 ff. VwGO Spezialregelungen gegenüber dem Auffangtatbestand des § 123 Abs. 1 VwGO sind. Dies folgt unmittelbar aus § 123 Abs. 5 VwGO, der die Geltung des § 123 Abs. 1 bis 3 VwGO für die Fälle der §§ 80, 80a VwGO ausschließt.

Die primäre Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes, der durch die §§ 80 ff. VwGO und § 123 Abs. 1 VwGO lückenlos gewährleistet wird, besteht darin, die Effektivität des Hauptsacherechtsschutzes zu sichern. Der Rechtsschutzsuchende soll davor geschützt werden, dass vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens irreversible Zustände geschaffen werden, die eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr zulassen (BVerfG NJW 1995, 950, 951). Daneben hat der vorläufige Rechtsschutz eine interimistische Funktion. Soll das Hauptsacheverfahren zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes offen gehalten werden, bedarf es abschließender gerichtlicher Zwischenentscheidungen, die den Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache überbrücken. Das Gericht hat vorläufige Anordnungen zu treffen, die den zwischen den Beteiligten bestehenden Streit über die Hauptsache für die Dauer dieses Zwischenstadiums endgültig regeln und ihn damit zugleich auf Zeit befrieden.

Die Rechtsprechung zum vorläufigen Rechtsschutz ist in der Rechtsprechung weitestgehend gefestigt und, wie in anderen Rechtsgebieten auch, teilweise von unterschiedlichen Auffassungen geprägt. Hierauf hat sich der Rechtsuchende einzustellen.

II. System des § 80 VwGO

1. Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO

§ 80 VwGO enthält in Absatz 1 Satz 1 die Grundregel, dass Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben. Bei einem Verwaltungsakt als allein statthaftem Gegenstand dieser Rechtsmittel (§§ 42 Abs. 1, 68, 69 VwGO), der dem Adressaten eine Geldleistung, ein Tun, Dulden oder Unterlassen auferlegt, bedeutet aufschiebende Wirkung, dass für deren Dauer der angefochtene Verwaltungsakt nicht befolgt zu werden braucht (BVerwGE 63, 74, 77) und nicht vollzogen werden darf (BVerwGE 99, 109, 112). Die Behörde darf den mit aufschiebender Wirkung angefochtenen Verwaltungsakt auch nicht zum Anlass für Folgemaßnahmen nehmen. Zum Beispiel darf sie den ausgewiesenen Ausländer nicht daran hindern, erneut in das Bundesgebiet einzureisen und sich darin aufzuhalten (OVG Schleswig NVwZ-RR 1993, 437, 438).

§ 80 Abs. 1 S. 2 VwGO stellt klar, dass die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage auch für rechtsgestaltende und feststellende Verwaltungsakte gilt. Rechtsgestaltend ist ein Verwaltungsakt, durch den Rechtsbeziehungen unmittelbar begründet, aufgehoben oder geändert werden, beispielweise die Aufhebung einer Genehmigung im Wege des Widerrufs oder der Rücknahme. Der feststellende Verwaltungsakt dient der Feststellung von Tatsachen oder Rechtsfolgen, z.B. der Feststellung, dass ein Beamtenverhältnis wegen einer strafgerichtlichen Verurteilung des Beamten gem. § 24 Abs. 1 S. 1 BeamtStG kraft Gesetzes zu einem bestimmten Zeitpunkt erloschen ist. Durch die aufschiebende Wirkung wird der Fortbestand der bisherigen Rechtslage fingiert, d.h. die Behörde hat jede Maßnahme zu unterlassen, die den Eintritt der in dem rechtsgestaltenden Verwaltungsakt verfügten Rechtsänderung voraussetzt (BVerwG Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 23), bzw. darf aus der getroffenen Feststellung keine rechtlichen oder tatsächlichen Folgen ziehen (VGH Mannheim DVBl. 1976, 548, 549). So wird die Behörde durch den Suspensiveffekt beispielweise daran gehindert, nach widerrufener Gaststättenerlaubnis gem. § 31 GastG i.V.m. § 15 Abs. 2 S. 1 GewO die Gaststätte zu schließen. Da der Gaststättenbetreiber so zu behandeln ist, als wäre er noch Erlaubnisinhaber, liegt ein ungenehmigter Betrieb als Voraussetzung für die Verhinderung seiner Fortsetzung nicht vor. Im Fall der Feststellung der Beendigung des Dienstverhältnisses nach § 24 Abs. 1 S. 1 BeamtenStG zwingt der Suspensiveffekt dazu, den ehemaligen Beamten als dienstlich noch aktiven Beamten zu behandeln.

Nach § 80 Abs. 1 S. 2 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage ferner beim Verwaltungsakt mit Doppelwirkung (§ 80a VwGO) aufschiebende Wirkung. Der Verwaltungsakt mit Doppelwirkung ist ein Verwaltungsakt, der entweder den Adressaten begünstigt und gleichzeitig einen anderen belastet oder den Adressaten belastet und dadurch einen anderen begünstigt. Die aufschiebende Wirkung bedeutet: Ficht der von einer Baugenehmigung (begünstigender Verwaltungsakt) nachteilig in seinen Rechten betroffene Nachbar die Genehmigung an, so darf von ihr für die Dauer der aufschiebenden Wirkung kein Gebrauch gemacht und das genehmigte Vorhaben nicht verwirklicht werden. Ficht der von einer Betriebsuntersagung (belastender Verwaltungsakt) Betroffene die Untersagungsverfügung an, darf der emittierende Betrieb, der das Objekt der angeordneten Schließung bildet, unter dem Schutz der aufschiebenden Wirkung vorerst weitergeführt werden und bleiben die Nachbarn bis ...

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