a) Allgemeines

Entscheidend für die Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes nach Nr. 132.3 BKatV ist die festgestellte Rotlichtzeit. Deshalb muss der Verteidiger bei der Prüfung des amtsgerichtlichen Urteils ein besonderes Augenmerk darauf richten, ob diese richtig ermittelt ist. Das AG muss Feststellungen zum exakten Ablauf des Rotlichtverstoßes sowie zu dessen Messung treffen. Das ist auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil der Betroffene eine "geständige Einlassung" abgegeben hat. Das bloße Geständnis des Betroffenen, bei Rot über die Ampel gefahren zu sein, da er das rote Licht zu spät gesehen habe, erlaubt nämlich keine Feststellung zur Zeitdauer, die seit Umspringen der Ampel auf Rot vergangen ist (OLG Hamm, Beschl. v. 3.8.1999 – 4 Ss OWi 790/99; zu den Feststellungen beim Geständnis einer Geschwindigkeitsüberschreitung s. Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 2283 ff.).

b) Überfahren der Haltelinie

Entscheidend ist, dass das AG bei seiner Zeitberechnung von den richtigen Grundlagen ausgegangen ist, insbesondere die richtige Stelle zugrunde gelegt hat. Insoweit ist es jetzt einhellige Meinung der Obergerichte, dass für die Berechnung der Rotlichtzeit von mehr als eine Sekunde, der Zeitpunkt maßgeblich ist, an dem der Betroffene mit seinem Fahrzeug die Haltelinie passiert (BGHSt 45, 135 = NJW 1999, 2978; vgl. u.a. auch KG NStZ-RR 2014, 385 = NZV 2015, 403 = VRS 126, 120; OLG Bremen NZV 2010, 42; OLG Düsseldorf NZV 2000, 134; OLG Hamm NStZ-RR 1996, 216 = VRS 91, 394; DAR 1997, 454 = VRS 94, 309; VRR 2007, 316; NZV 2008, 309 = VA 2008, 100 = VRS 114, 298; OLG Köln VRS 100, 140; s.a. weitere Nachweise bei Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 3545).

 

Hinweis:

Hier sind die amtsgerichtlichen Urteile häufig fehlerhaft, da dort z.B. nur ausgeführt wird, die Ampel sei auf Rot umgesprungen, als der Betroffene die LZA passierte oder als er den Kreuzungsbereich erreichte. Das ist für die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes nicht ausreichend (zuletzt OLG Bremen NZV 2010, 42; OLG Hamm a.a.O.; VA 2001, 33 = zfs 2001, 232). Neben dem Passieren der Haltelinie kann aber auch das Einfahren in den gesicherten Kreuzungsbereich ausreichen (OLG Hamm a.a.O.).

Die Feststellung, dass zum Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie die Ampel Rotlicht gezeigt hat, muss vom Tatrichter auch nachvollziehbar aus dem Beweisergebnis hergeleitet werden. Dazu ist i.d.R. erforderlich, dass die Schaltphasen der Ampelanlage mitgeteilt werden. Allein aus dem Umstand, dass für den Querverkehr Grünlicht angezeigt worden ist, als der Betroffene in den Kreuzungsbereich hineingefahren ist, kann nicht auf einen Rotlichtverstoß eines Betroffenen geschlossen werden (OLG Hamm DAR 1999, 417 [Ls.]). Etwas anderes kann allerdings gelten, wenn die Ordnungswidrigkeit nach den Urteilsfeststellungen innerhalb einer geschlossenen Ortschaft begangen wurde (vgl. dazu schon OLG Hamm VRS 85, 464, 465; VRS 91, 67, 68).

c) Ermittlung der Rotlichtzeit

Auch bei der Zeitmessung gibt es häufig Probleme. Insoweit handelt es sich um eine Frage der Beweiswürdigung. Die erforderlichen Feststellungen richten sich danach, ob es sich um die Rotlichtüberwachung durch Polizeibeamte oder durch eine automatische Kamera handelt. Im Einzelnen gilt Folgendes:

aa) Rotlichtüberwachung durch Polizeibeamte

Für den Nachweis eines qualifizierten Rotlichtverstoßes ist grundsätzlich eine exakte Messung erforderlich. Das bedeutet, dass die bloße gefühlsmäßige Schätzung eines Polizeibeamten i.d.R. nicht genügt (KG NZV 2002, 50; OLG Celle NZV 1994, 40; OLG Düsseldorf DAR 1997, 322; 2003, 85; OLG Hamm, Beschl. v. 29.1.1996 – 1 Ss OWi 103/96; s. aber BayObLG NZV 2002, 518), es sei denn, das amtsgerichtliche Urteil enthält zusätzliche Ausführungen darüber, wie der Polizeibeamte die Feststellung einer bestimmten, im Urteil genannten Rotlichtzeit getroffen hat und diese Messmethode hinsichtlich ihrer Beweiskraft bewertet (BayObLG NZV 2002, 518, OLG Hamm DAR 2008, 35 = VRR 2008, 112 = zfs 2008, 111; weiter OLG Hamm VRR 2009, 272 = VA 2009, 156; vgl. auch noch OLG Celle VRR 2012, 34 = DAR 2012, 34 = NZV 2012, 403; OLG Köln VA 2012, 103 = zfs 2012, 292 = DAR 2012, 271 = VRR 2012, 123 [Ls.]; AG Landstuhl VD 2011, 145). Entsprechendes gilt i.Ü. für sonstige zufällig anwesende Zeugen (OLG Hamm VRR 2010, 72 m. Anm. Deutscher = VA 2010, 17).

Wenn der Amtsrichter seine Überzeugung vom Vorliegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes auf die Entfernungsschätzungen von Zeugen, wie z.B. Polizeibeamte, stützt, bedarf es i.d.R. einer wertenden Auseinandersetzung mit Grundlagen und Beweiswert dieser Schätzung (OLG Köln zfs 2012, 292 = DAR 2012, 271 = VA 2012, 103 = VRR 2012, 123 [Ls.]). Die Rechtsprechung geht davon aus, dass zwar an die Feststellung von qualifizierten Rotlichtverstößen durch Polizeibeamte gerade bei längeren Beobachtungszeiten nicht zu hohe Anforderungen zu stellen sind, bei einer nicht gezielten Feststellung eines Rotlichtverstoßes bei einfachen Zeitschätzungen muss das Gericht aber weitere Indizien feststellen können, anhand derer sich die Schätzung der bereits verstrichenen Rotlichtzeit zur Zeit des Verstoßes abschätz...

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