Einschränkungen der Verschwiegenheitspflicht können sich durch Schweigepflichtsentbindung des Mandanten oder aus besonderen Gründen des Gemeinwohls ergeben.

Besondere Gründe des Gemeinwohls

Hier zählt die Bekämpfung schwerster Straftaten und eine Rechtsgüterabwägung mit dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Verhinderung und Bekämpfung schwerer Straftaten schwerer wiegt als das Recht und die Pflicht zur Verschwiegenheit (vgl. z.B. durch Regelungen im Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (GwG); §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB), oder bei Erfüllung der Steuergesetze. So können Rechtsanwälte, die nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 EStG erforderlichen Angaben zu Teilnehmern und Anlass einer Bewirtung i.d.R. nicht unter Berufung auf die anwaltliche Schweigepflicht verweigern. Darüber hinaus kommen Einschränkungen im Individualinteresse in Betracht. Soweit von anwaltlich tätigen Abgeordneten Angaben über ihre Einkünfte aus dem Anwaltsberuf aufgrund der ihnen parlamentsrechtlich auferlegten Pflicht zur Anzeige solcher Einkünfte abverlangt werden, können diese sich nicht auf ihre Verschwiegenheitsverpflichtung berufen, selbst wenn es in besonderen Fällen zur Beeinträchtigung dieser Verpflichtung kommen sollte. Dies ist durch den Informationszweck der Transparenzregeln über Einkünfte von Parlamentariern gerechtfertigt (Weyland/Bauckmann, 2024, a.a.O., § 43a BRAO Rn 14).

Entbindung des Rechtsanwalts von seiner Schweigepflicht

Das ausschließlich der Mandant "Herr des Geheimnisses" bzgl. der mandatsbezogenen Tatsachen ist, kann nur dieser seinen Rechtsanwalt von der Schweigepflicht entbinden, § 2 Abs. 3 lit. a) BORA. Voraussetzung ist, dass der Mandant die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzt und weiß, auf welches Anwaltswissen sich die Entbindung von der Schweigepflicht erstrecken soll. Ist der Mandant eine juristische Person, ist deren Einverständnis durch das zuständige Organ zu erteilen. Im Insolvenzfall des Mandanten geht die Dispositionsbefugnis des Mandanten auf den Insolvenzverwalter über. Im Falle des Todes des Mandanten erlischt dessen Verfügungsrecht und geht nicht auf die Erben über; jedoch kann es im Einzelfall dem mutmaßlichen Willen des Mandanten entsprechen, dass der Anwalt im Falle seines Todes seine Erben informiert. Ob dies der Fall ist, muss der Rechtsanwalt in eigener Verantwortung entscheiden (so explizit Weyland/Bauckmann, 2024, a.a.O., § 43a BRAO Rn 24).

Vorrang überragend wichtiger Rechtsvorschriften

Auch ohne Einwilligung des Mandanten, kann im Einzelfall die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht zurücktreten, wenn sie durch andere Rechtsvorschriften eingeschränkt oder aufgehoben wird, z.B.:

Der Rechtsanwalt kann zudem nach den Grundsätzen einer Güter- und Interessenabwägung berechtigt sein, die Verschwiegenheitspflicht zu brechen (OLG Köln, Beschl. v. 4.7.2000 – Ss 254/00, NJW 2000, 3656). Dies ist nach § 2 Abs. 4b BORA insb. der Fall:

Zitat

Ein Verstoß ist nicht gegeben, soweit das Verhalten der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts

a) mit Einwilligung erfolgt oder
b) zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist, z.B. zur Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen aus dem Mandatsverhältnis oder zur Verteidigung in eigener Sache, oder
c) im Rahmen der Arbeitsabläufe der Kanzlei, die außerhalb des Anwendungsbereichs des § 43e BRAO liegen, objektiv einer üblichen, von der Allgemeinheit gebilligten Verhaltensweise im sozialen Leben entspricht (Sozialadäquanz).

Verursacht in diesen Fällen der Mandant selbst den Interessenkonflikt, ist der Rechtsanwalt von seiner Verschwiegenheitspflicht befreit, wenn und soweit es zur Wahrung seiner Rechte erforderlich ist (Peitscher, 2021, a.a.O., § 18 Rn 219).

Von Dr. Sven Caspers, RiAG, München

ZAP F., S. 331–344

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