a) Beiordnungsverfahren

Nichts wesentlich Neues bringt der Beschluss des BGH v. 4.11.2014 (1 StR 586/12, StraFo 2015, 37). Er kann aber für die (Abrechnungs-)Praxis Bedeutung haben, weil er die ständige Rechtsprechung des BGH bestätigt, wonach eine Bestellung als Pflichtverteidiger auch konkludent erfolgen kann (vgl. zuletzt BGH StV 2011, 645 = StRR 201, 29 m. Anm. Burhoff). Wie und in welchem Umfang, zeigt der BGH-Beschluss. In dem ihm zugrunde liegenden Verfahren ging es noch um die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG für die Teilnahme des Rechtsanwalts/Pflichtverteidigers am Revisionshauptverhandlungstermin. Der Verteidiger hatte diese beantragt, war aber nicht ausdrücklich als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Das ist seinem Antrag offenbar vom Kostenbeamten entgegengehalten worden. Der Verteidiger hat dann beantragt, festzustellen, dass er für die Revisionshauptverhandlung zum Verteidiger des Angeklagten bestellt war.

Der BGH (a.a.O.) ist dem Antrag nachgekommen. Zur Begründung verweist er darauf, dass der vom LG bestellte Pflichtverteidiger für die Revisionshauptverhandlung vom Senat geladen worden war. Er sei als einziger Verteidiger des Angeklagten, der sich nicht auf freiem Fuß befunden habe und deswegen unter Hinweis auf § 350 Abs. 3 StPO vom Hauptverhandlungstermin benachrichtigt worden sei, in der Verhandlung aufgetreten. Einen ausdrücklichen Antrag auf Beiordnung des Rechtsanwalts als Verteidiger auch für die Revisionshauptverhandlung hätten weder der (in der Verhandlung nicht anwesende) Angeklagte noch der Verteidiger selbst gestellt. Der BGH ist sodann von einer stillschweigenden Bestellung ausgegangen. Der Rechtsanwalt habe nicht nur eine Terminsnachricht zugestellt bekommen, sondern sei auch als einziger Verteidiger des nicht auf freiem Fuß befindlichen (vgl. dazu § 350 Abs. 3 StPO) Angeklagten in der Revisionshauptverhandlung aufgetreten. Seine Beiordnung sei auch rechtlich geboten gewesen; denn der Senat hätte die Revisionshauptverhandlung ohne Anwesenheit eines Verteidigers nicht durchgeführt. Für die mündliche Erörterung der schwierigen Rechtsfragen des Verfahrens in der Hauptverhandlung habe es der Mitwirkung eines Verteidigers in der Hauptverhandlung bedurft.

 

Hinweis:

Hat der Verteidiger ggf. übersehen, dass er im Laufe des Verfahrens nicht ausdrücklich zum Pflichtverteidiger bestellt worden ist, kann er der Diskussion über die Frage, ob nach (rechtskräftigem) Abschluss des Verfahrens noch nachträglich die Bestellung zulässig ist, was von der h.M. unzutreffend verneint wird (vgl. dazu die Zusammenstellung der Rspr. bei Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2013, Rn. 2326 ff. – im Folgenden kurz: Burhoff, EV – zugleich auch m.w.N. zur teilweise abweichenden landgerichtlichen Rechtsprechung), ggf. dadurch entgehen, dass er prüft, ob nicht möglicherweise eine stillschweigende Beiordnung erfolgt ist. Dazu sollte/muss er sich dann auf die o.a. Rspr. des BGH berufen.

b) Beiordnungszeitpunkt

Weniger "schön" als der Beschluss des BGH v. 4.11.2014 (1 StR 586/12, StraFo 2015, 27 – s.o. II. 1a) ist der BGH-Beschluss v. 20.10.2014 (5 StR 176/14, StRR 2015, 23; zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Hier macht der BGH hinsichtlich der Frage, ob nicht ggf. schon vor einer verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten nach dessen Ergreifung – zumindest bei Kapitaldelikten – im Ermittlungsverfahren die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich ist, einen weiteren Schritt zurück. Zu der Problematik hatte es die hoffungsvoll stimmende Entscheidung BGHSt 47, 172 gegeben, in der eine Pflicht zur Stellung eines Beiordnungsantrags dann bejaht wurde, wenn der Tatverdacht von der Staatsanwaltschaft als "dringend" erachtet wird und der Beschuldigte zugleich aufgrund der Lage des Verfahrens tatsächlich des Beistandes eines Verteidigers bedarf, was vor allem dann Fall sein dürfte, wenn die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls wegen eines Verbrechens stellt. Diese Auffassung hatte der BGH dann aber bereits in BGHSt 47, 233 relativiert (zur Entwicklung der Rechtsprechung Burhoff, EV, Rn. 2340 f.).

Jetzt hat der BGH erneut einen Schritt zurück gemacht und zur Begründung § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO herangezogen. Er führt aus, dass der BGH bereits mehrfach entschieden habe, dass nach geltendem Recht (§ 141 Abs. 3 S. 2 StPO) auch mit Bedacht auf Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK keine Pflicht bestehe, dem Beschuldigten bereits frühzeitig im Ermittlungsverfahren, etwa beginnend mit dem dringenden Verdacht eines (auch schweren) Verbrechens, einen Verteidiger zu bestellen (BGHSt 47, 233, 236 f.; NJW 2006, 1008, 1010; NStZ-RR 2006, 181, 182). Von dieser Rechtsprechung abzurücken, bestehe kein Anlass. Dies gelte umso mehr, als der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2274) den Zeitpunkt der rechtlich zwingenden Bestellung eines Pflichtverteidigers in § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO in Kenntnis der bestehenden Rechtsprechung bewusst auf den Beginn der Vollst...

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