I. Einleitung

Mit größter Selbstverständlichkeit fahren wir heute ins europäische Ausland. Die Erfolgsgeschichte der europäischen Reisefreiheit setzt sich scheinbar selbst dann fort, wenn es im Ausland zum Unfall kommt. Denn der deutsche Geschädigte kann seine Ansprüche vor deutschen Gerichten geltend machen. Bei der korrekten Handhabung eines Auslandsunfalls ergeben sich allerdings einige praxisrelevante Besonderheiten, die hier in Grundzügen dargestellt werden sollen.

II. Internationale Zuständigkeit

1. Klage des Geschädigten

Die internationale Zuständigkeit für Klagen aus Auslandsunfällen richtet sich innerhalb der EU nach der EuGVVO. Für die Schweiz, Norwegen und Island gilt mit korrespondierenden Rechtsfolgen das Luganer Übereinkommen.

a) Gerichtsstand am (Wohn-)Sitz des Beklagten

Nach Art. 4 Abs. 1 EuGVVO können Personen mit Wohnsitz in der EU vor den Gerichten des Mitgliedstaates verklagt werden, in dem sie ihren Wohnsitz haben. Nach Art. 11 Abs. 1a EuGVVO kann auch die Kfz-Haftpflichtversicherung an ihrem Sitz verklagt werden.

b) Gerichtsstand am Ort des schädigenden Ereignisses

Nach Art. 13 Abs. 2, 12 S. 1 EuGVVO kann der Geschädigte, wenn sich der Unfall nicht im Sitzland des Klägers oder des Versicherers ereignet (vgl. dazu Staudinger in: Rauscher, Europäische Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 2010/2011, Art. 10 Brüssel I-VO Rn 2, Fricke VersR 1997, 399, 402), auch an dem Ort des schädigenden Ereignisses gegen die Haftpflichtversicherung klagen. Auch für die Klage gegen den Schädiger ist der deliktische Gerichtsstand eröffnet, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO.

 

Hinweis:

Ort des schädigenden Ereignisses ist der Ort, an dem das geschützte Rechtsgut erstmals verletzt wird (vgl. EuGH ABl EG 1995 Nr. C 299, 4; EuGH, Urt. v. 10.9.2015 – C-47/14), nicht hingegen der Ort, an dem es zu Folgeschäden gekommen ist (vgl. Leible in: Rauscher, Art. 5 Rn 86; Wagner/Berentelg MDR 2010, 1353, 1354).

Der Unfallort ist grundsätzlich für die Geltendmachung aller Schäden maßgeblich, auch für die Geltendmachung mittelbarer Schäden wie Unterhaltsschäden (vgl. EuGH Slg. 1990, I 49 f.; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVO Rn 91). Etwas anderes könnte allerdings gelten, wenn das anzuwendende Recht Ansprüche Dritter unmittelbar in deren Person entstehen lässt, etwa bei Schockschäden (vgl. Staudinger/Czaplinski NJW 2009, 2249, 2252; a.A. Looschelders VersR 2002, 1358) oder dem Angehörigenschmerzensgeld (vgl. Staudinger in: Rauscher, Art. 11 Brüssel I-VO, Rn 6c; a.A. Lüttringhaus VersR 2010, 183, 187).

c) Gerichtsstand am Wohnsitz des Geschädigten

Nach Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Abs. 1b EuGVVO kann der Geschädigte die Direktklage gegen die in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Haftpflichtversicherung an seinem Wohnsitz erheben (vgl. EuGH Slg. 2009, I-8661 ff.; EuGH Slg. 2007 I-11321 ff). Gleiches gilt in den Vertragsstaaten des Luganer Übereinkommens (vgl. BGHZ 195, 166 ff.; Schweizerisches BG DAR 2012, 472 ff.).

 

Hinweis:

Fahrer und Halter können im Geschädigtengerichtsstand hingegen nicht mitverklagt werden (vgl. BGH NJW 2015, 2429 ff.).

Die Frage, wer sich als Geschädigter auf den Gerichtsstand des sog. forum actoris berufen kann, ist Gegenstand zahlreicher Abgrenzungsprobleme. Die besonderen Zuständigkeiten eines Schutzgerichtsstandes dürfen nicht auf Personen erstreckt werden, die dieses Schutzes nicht bedürfen (vgl. EuGH Slg. 2009, I-8661 ff.; EuGH Slg. 2000 I-5925 ff.). Ein solches Schutzbedürfnis fehlt etwa bei der Klage eines Sozialversicherungsträgers aus übergegangenem Recht (vgl. EuGH Slg. 2009, I-8661 ff.), ebenso wohl bei Klagen von staatlichen Körperschaften (vgl. OLG Koblenz DAR 2013, 30 f.) und Kaskoversicherungen (vgl. Tomson VersR 2009, 62, 63).

Allerdings ist der Gerichtsstand in Versicherungssachen kein Verbrauchergerichtsstand. Geschädigter kann deshalb auch eine juristische Person sein (vgl. OLG Köln DAR 2010, 582 f.; OLG Zweibrücken VersR 2011, 741 f.). Noch nicht abschließend geklärt ist derzeit allerdings, ob und ggf. nach welchen Kriterien die Schutzbedürftigkeit bei ihnen im Rahmen einer Einzelfallprüfung positiv festzustellen ist (so etwa Lüttringhaus VersR 2010, 183, 188; Mäsch IPrax 2013, 234, 236 f.; a.A. Kropholler/von Hein, Art. 11 EuGVO Rn 4).

Auch der Erbe des Geschädigten kann im forum actoris klagen. Offen ist, ob das auch für den (rechtsgeschäftlichen) Zessionar gilt (bejahend etwa Lüttringhaus RabelsZ 77, 31, 65; Fendt VersR 2012, 34). Gegebenenfalls ist weiter zu entscheiden, ob der Zessionar am Sitz des Unfallbeteiligten klagen muss oder an seinem eigenen Sitz klagen darf. Ein Lösungsansatz dafür könnte darin bestehen, auf die Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsbestimmung abzustellen. Danach wäre eine Klage am Sitz des Erben möglich (so auch Staudinger in: Rauscher, Art. 11 Brüssel I-VO, Rn 6d; a.A. Geimer in: Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2010, Art. 16 Rn 4). Anderes müsste aber wohl gelten, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug beispielsweise im Ausland reparieren lässt und seinen Schadensersatzanspruch als Sicherheit an die Werkstatt abtritt.

Insgesamt erweitert der Geschädigtengerichtsstand den Gestaltungsspielraum für den Geschädigten beträch...

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