Am 1.8.2022 ist, unter den aufmerksamen Augen nicht nur der Anwaltschaft, die große BRAO-Reform in Kraft getreten (BGBl 2021 I, S. 2363). Sie beseitigt grundlegende Schwächen des anwaltlichen Berufsrechts und soll die rechtlichen Rahmenbedingungen der Anwaltstätigkeit zukunftsfest machen. Für die Anwältinnen und Anwälte bringt die Reform an vielen Stellen neue Freiheiten – v.a. bei der Organisation ihrer Berufsausübung (näher Henssler/Deckenbrock/Sossna, ZAP 2022, 918; vgl. auch den Überblick bei Deckenbrock, DB 2021, 2200 und DB 2021, 2270).

Während sich der Diskurs in erster Linie auf das anwaltliche Gesellschaftsrecht und die Grundpflichten fokussiert, führen etliche Vorschriften bislang ein Schattendasein. Zu ihnen gehört der neu eingeführte § 43f Abs. 1 BRAO, der den Erwerb von Berufsrechtskenntnissen als Berufspflicht statuiert: Die Vorschrift verpflichtet junge Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dazu, binnen eines Jahres nach Zulassung einen Nachweis über den Erwerb von Kenntnissen im Berufsrecht zu erbringen. Zu erwerben sind die Kenntnisse in einer „Lehrveranstaltung”, die mind. zehn Zeitstunden dauern und die wesentlichen Bereiche des anwaltlichen Berufsrechts (näher: § 5a BORA) umfassen muss.

Der Nachweis kann durch den Besuch einer entsprechenden Veranstaltung bereits während des Universitätsstudiums erbracht werden – freilich verfügen derzeit nur wenige Universitäten über entsprechende Angebote, wie es sie etwa an der Universität zu Köln gibt: Regelmäßig fällt die Vorbereitung auf den Anwaltsberuf krachend durch den Rost der universitären Ausbildung. Schuld daran sind auch die gesetzlichen Regelungen der Juristenausbildung. Ziel der zweiten Juristischen Staatsprüfung ist schließlich die Befähigung zum Richteramt. Dass mit dieser Befähigung zugleich die Voraussetzungen für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erfüllt sind, ist aus Sicht der Ausbildungsregeln eher eine Begleiterscheinung. In Deutschland werden, anders als im Ausland, weiterhin in erster Linie Richterinnen und Richter ausgebildet, keine Anwältinnen und Anwälte.

Das hatte bislang die skurrile Folge, dass in Deutschland ein Rechtsanwalt zugelassen werden konnte, ohne sich jemals mit dem Berufsrecht befasst zu haben, welches doch die Richtschnur für jede Anwaltstätigkeit bildet. Bei Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Patentanwälten gehören Berufsrechtskenntnisse demgegenüber seit geraumer Zeit zum Themenkanon der Zulassungsprüfung. So verwundert es nicht, dass 72 % der 2011 befragten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte über unzureichende Berufsrechtskenntnisse bei der Zulassung klagten (Kilian, Berufsrechtsbarometer 2011, Essen 2012, S. 129, 132). Während größere Kanzleien mit Compliance-Abteilungen und internen Schulungen für Berufseinsteiger gegensteuern konnten, blieb das anwaltliche Berufsrecht für viele Anwältinnen und Anwälte ein Buch mit sieben Siegeln.

Nicht zuletzt durch die intensive Begleitung von Gesetzgebungsinitiative und -verfahren durch das Kölner Institut für Anwaltsrecht (vgl. auch den grundlegenden DAV-Diskussionsvorschlag von Henssler, AnwBl Online 2018, 564; zu den Berufskenntnissen Kilian, ZRP 2015, 206) konnte dieser Missstand nun i.R.d. BRAO-Reform endlich angegangen werden. Dabei hat sich der Gesetzgeber nicht nur im Hinblick auf den Umfang der Lehrveranstaltung in großer Behutsamkeit geübt: Eine inhaltliche Prüfung der Kenntnisse wie bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern erfolgt nicht und auch die besuchte Lehrveranstaltung darf bis zu sieben Jahre zurückliegen. Gleichwohl wurde ein wertvoller Anreiz geschaffen, das anwaltliche Berufsrecht frühzeitig in die Juristenausbildung zu integrieren.

Die Nachweispflicht des § 43f BRAO wird jungen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten den Einstieg in den Anwaltsberuf spürbar erleichtern und die anwaltliche Perspektive in der Juristenausbildung aufwerten. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund, dass der verstärkte Wettbewerb mit Legal-Tech-Anbietern den Berufsstand in eine zunehmende Kommerzialisierung treibt. Hier sind die strengen Berufspflichten nicht bloß Last, sondern auch Qualitätsgarant anwaltlicher Tätigkeit, der die Anwaltschaft von anderen Anbietern unterscheidet (vgl. auch Henssler/Sossna BB 27/2022, I).

So begrüßenswert die längst überfällige Kehrtwende auch ist – ihre Durchführung hat ihre Tücken. Denn die jährlich etwa 5.000 neu zugelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind nun kurzfristig auf Lehrveranstaltungen im anwaltlichen Berufsrecht angewiesen. Hier sind neben den örtlichen Rechtsanwaltskammern und Anwaltsvereinen auch flexible überregionale Angebote gefragt. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber bewusst auf „konkrete gesetzliche Vorgaben zu Anbietern und zur Ausgestaltung der Lehrveranstaltungen” verzichtet und ausdrücklich auf die „Möglichkeiten der elektronischen Medien” hingewiesen (Gesetzesbegründung in BT-Drucks 19/30516, S. 45). Freilich besteht bei den nun in den Fokus gerückten Online-Angeboten die Herausforderung, die Anwesenheit ...

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