Große Bedeutung haben in der Praxis die mit dem Entschuldigungsgrund "Krankheit" zusammenhängenden Fragen. Insoweit gilt: Grundsätzlich kann eine Erkrankung des Angeklagten ein Entschuldigungsgrund für das Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung darstellen (vgl. Burhoff/Kotz/Kotz, Teil A Rn 155). Die Krankheit entschuldigt das Ausbleiben des Angeklagten, wenn sie nach Art und Auswirkungen eine Beteiligung in der Berufungshauptverhandlung unzumutbar macht (KG VRR 2009, 433; OLG Düsseldorf NStZ 1984, 331 [Abszess in der Mundhöhle]; OLG Hamm StraFo 1998, 233 [eiternde Entzündungen]; OLG Köln NStZ-RR 2009, 86; StraFo 2010, 73 [paranoide Psychose mit der Gefahr psychophysischer Dekompensation]; OLG Schleswig NStZ-RR 2008, 252 [schmerzhafte und die Beweglichkeit beeinträchtigende Blockade der Lendenwirbelsäule]). Verhandlungsunfähigkeit ist nicht erforderlich (OLG Düsseldorf StraFo 2000, 126; OLG Karlsruhe NJW 1995, 2571; OLG Stuttgart NStZ-RR 2006, 313; Burhoff, HV, Rn 801). Der Angeklagte kann auch dann entschuldigt sein, wenn er infolge eines Querulantenwahns von Krankheitswert nur glaubt, der Hauptverhandlung fernbleiben zu dürfen (OLG Brandenburg NJW 1998, 842; s. auch BayObLG StV 2001, 336 [zum Unterlassen einer Therapie]). Die Verzögerung eines Heilungsprozesses soll dem Angeklagten aber zuzumuten sein (vgl. OLG Schleswig a.a.O.).

Im Fall einer stationären Krankenhausbehandlung sind an den Nachweis der Unzumutbarkeit des persönlichen Erscheinens des Angeklagten weniger strenge Anforderungen zu stellen. Besteht aus Sicht der Klinikärzte Anlass, einen Patienten mehrtägig stationär aufzunehmen – und sei es nur zur Überwachung und Abklärung des Krankheitsbildes –, ist es ihm grundsätzlich nicht zumutbar, das Krankenhaus zu verlassen, um einen Gerichtstermin wahrzunehmen (OLG Köln StraFo 2016, 122). In diesen Fällen kann als Nachweis des Klinikaufenthalts des Angeklagten eine eidesstattliche Versicherung einer Mitarbeiterin des Verteidigers ausreichen, dass diese bei einem Telefonat mit einem Mitarbeiter im Klinikum in Erfahrung gebracht hat, dass sich der Angeklagte im maßgeblichen Zeitraum durchgängig in stationärer Behandlung befunden hat (OLG Köln a.a.O.).

Zur Glaubhaftmachung der Krankheit/Erkrankung genügt i.d.R. ein (zeitnahes) privatärztliches Attest (KG StraFo 2007, 244; VRR 2009, 433; OLG Bamberg NStZ-RR 2009, 150; zfs 2012, 23; StRR 2013, 386; OLG Karlsruhe NJW 1995, 2571; OLG Köln NStZ-RR 2009, 86; OLG München StV 2018, 151 [Ls.]; StraFo 2013, 208; OLG Nürnberg NJW 2009, 1761; Beschl. v. 19.1.2018 – 1 OWi 2 SsBs 84/17; LG Potsdam, Urt. v. 25.5.2009 – 27 Ns 3/09), nach welchem der Angeklagte wegen einer näher bezeichneten Erkrankung nicht reisefähig ist (OLG Düsseldorf StV 1994, 364) bzw. das konkrete Angaben über die Erkrankung enthalten muss/sollte (KG StraFo 2007, 244; OLG Hamm NZV 2009, 158; NStZ-RR 2013, 18 [Ls.]; s. aber KG VRR 2009, 433 und OLG Bamberg StRR 2013, 386 [Attest ohne Angabe der Erkrankung ausreichend]). Gegebenenfalls muss das Berufungsgericht von Amts wegen Ermittlungen durchführen, ob der Angeklagte durch die einer Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegende Erkrankung am Erscheinen im Hauptverhandlungstermin gehindert ist (KG a.a.O.; OLG Bamberg a.a.O.; OLG Celle StraFo 1997, 79; OLG Düsseldorf VRS 87, 439; OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.11.2015 – 1 Ss 322/15; OLG München a.a.O.; OLG Nürnberg a.a.O.; OLG Zweibrücken a.a.O.). Das OLG Hamm (Beschl. v. 2.11.2010 – 5 RVs 91/10) hat allerdings ein Attest, in dem nur pauschal wegen Alkoholabhängigkeit Verhandlungsunfähigkeit attestiert worden ist, nicht ausreichen lassen.

 

Hinweis:

Auch wenn die OLG-Rechtsprechung teilweise ein Attest – ohne nähere Angaben zur Art der Erkrankung – zur Glaubhaftmachung ausreichen lässt, solange keine Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Bescheinigung falsch oder offensichtlich unrichtig ist (vgl. z.B. OLG Bamberg StRR 2013, 381; OLG München StV 2018, 151 [Ls.]; StraFo 2013, 208), sollte der Verteidiger, da andere OLG in dieser Frage strenger sind (vgl. u.a. OLG Hamm NStZ-RR 2013, 18 [Ls.]), nach Möglichkeit ein Attest vorlegen, dem sich inhaltlich jedenfalls die nach allgemeinem Sprachgebrauch zu benennende Art der Erkrankung, die aktuell bestehende Symptomatik und die Darlegung der daraus zur Terminszeit resultierenden konkreten körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen entnehmen lässt (OLG Hamm a.a.O.).

In der Regel wird eine bloße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ausreichend sein (vgl. aber OLG München StV 2018, 151 [Ls.]; LG Essen StraFo 2005, 466). Der Verteidiger muss daher darauf achten, dass sich aus dem Attest ergibt, dass der Mandant verhandlungsunfähig ist. Der Angeklagte darf aber grundsätzlich auf die entschuldigende Wirkung eines ärztlichen Attests vertrauen (OLG Dresden StV 2018, 152 [Ls.]; OLG Hamm VRR 2005, 270; ähnlich LG Nürnberg, Beschl. v. 12.3.2018 – 3 OWi Qs 62/17 [attestierte mehrtägige Bettlägerigkeit]).

Allein aus dem Fehlen eines ärztlichen Attests kann nicht geschlossen ...

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