Drittens gilt es, den Zugang zu einem effektiven und humanen ERV im Sinne eines zeitgemäßen Verständnisses des verfassungsrechtlich garantierten Justizgewährungsanspruchs nicht aus den Augen zu verlieren. Fraglich ist nämlich, ob und inwieweit – wie bei den aktuellen Reformen des ERV vorgesehen – der künftige Zwang bezüglich des elektronischen Datenaustauschs verfahrensrechtspolitisch ratsam und rechtsstaatlich unbedenklich ist (vgl. zum "access to e-justice" bereits und m.w.N. N. Fischer KritJ 2005, S. 152 ff.; s. auch Stadler, ZZP 111 (2002), S. 413 ff., 425).

Dabei steht die zentrale Frage im Raum, ob und inwieweit der Zugang zur Justiz durch vorgeschriebene Kommunikationswege eingeschränkt werden darf ("access to justice"). Ausgangspunkt und Leitgedanke für eine zeitgemäße Justizgewährung sollte der "liberale" Gedanke sein, dass die Parteien im Rechtsverkehr mit den Gerichten nicht vom technischen Fortschritt der Kommunikationsmittel ausgeschlossen werden dürfen. Dies hat das Reichsgericht für fristwahrende Schriftsätze (in Zivilsachen) bereits im Jahre 1899 entschieden (s. für die Revisionseinlegung via Telegramm RGZ 44, 369 f.; s. auch BVerfGE 36, 298 ff., 304). Dies bedeutet aber gerade noch nicht, dass alle Parteien (bzw. ihre Prozessbevollmächtigten) im Zivilprozess dazu gezwungen werden sollten, am ERV teilzunehmen. Dies ist auch dann zu hinterfragen, wenn aus rechtsvergleichender Perspektive in den europäischen Nachbarländern Österreich, Italien und Dänemark längst eine Pflicht zur elektronischen Einleitung von Zivilverfahren besteht (s. Köbler, NJW-aktuell 42/2018, S. 17). Vielmehr zeigen gerade auch die technischen Defizite bei der beA-Einführung, dass ein technisch einwandfrei funktionierender ERV zugleich ein Ressourcen- und (damit) Kostenfaktor ist, der auch, aber nicht nur den Staat betrifft.

Demgegenüber sei hier daran erinnert, dass es in der Reformdebatte der sechziger und siebziger Jahre um die Qualität des Rechtsschutzes durch die Entwicklung einer sozialen und humanen "Justizkultur" ging (s. z.B. Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, insb. S. 49 ff.; s. auch Gilles (Hrsg.), Humane Justiz, 1977; zur "Justiz im Dienst des Menschen" Kissel DRiZ 1991, 269 ff.). Demgegenüber haben bei den Justizreformdiskussionen gerade im letzten Jahrzehnt vorherrschend Begriffe wie "Controlling", "Benchmarking" und "Budgetierung" – und damit im Wesentlichen Rationalisierungsgedanken – im Vordergrund gestanden. Dies gilt letztlich auch für die aktuelle Entwicklung des ERV. Es stellt sich also letztlich die Frage, wie der Zugang zu einer modernen Justiz, die sich des ERV vornehmlich zur Erleichterung der Rechtsgewährung bedienen sollte, ausgestaltet sein soll. Damit stehen aber – im Gegensatz zu der bisherigen Herangehensweise des Gesetzgebers – Inhalte und nicht lediglich Formen von Verfahren im Fokus der Betrachtung.

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