Gemäß § 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO sind während der laufenden Hauptverhandlung eintretende Befangenheitsgründe zwar unverzüglich geltend zu machen. Dies bedeutet aber nicht „sofort”, sondern nur „ohne schuldhaftes Zögern”. Das hat vor einiger Zeit noch einmal der BGH im Beschluss vom 21.7.2020 (5 StR 236/20) bestätigt. In der Sache stand die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus an. In der Hauptverhandlung hatte die psychiatrische Sachverständige am zweiten Hauptverhandlungstag ihr Gutachten bis ca. 15.17 Uhr erstattet. Danach wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Der Vorsitzende teilte dann mit, dass noch am selben Hauptverhandlungstag plädiert werden solle. Es folgte zwischen Gericht und Verteidigung ein Disput darüber, ob noch an diesem Tag plädiert werden könne und wieviel Zeit für die Vorbereitung des Plädoyers notwendig sei. Gemäß dem Antrag der Staatsanwaltschaft wollte der Vorsitzende nur eine Unterbrechung von 30 Minuten zur Vorbereitung der Plädoyers gewähren. Damit war der Verteidiger des Angeklagten nicht einverstanden und erhob Gegenvorstellung. Er erklärte, dass er für seine Vorbereitung aufgrund des Umfangs der Hauptverhandlung und insb. des psychiatrischen Gutachtens deutlich mehr Zeit benötige. Anschließend wurde um 15.20 Uhr die Hauptverhandlung für 30 Minuten unterbrochen. Unmittelbar nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung stellte der Verteidiger für den Angeklagten ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden und begründete dies damit, dass der Verteidigung ein zu kurzer Zeitraum für die Vorbereitung ihres Plädoyers eingeräumt worden sei. Die Gewährung von mehr Vorbereitungszeit würde nicht zu Verzögerungen führen, weil noch ein weiterer Hauptverhandlungstermin anberaumt sei. Das Gericht lehnte den Befangenheitsantrag unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO mit der Begründung ab, der Ablehnungsantrag sei verspätet. Er sei nicht unverzüglich gestellt oder angekündigt worden, nachdem der Vorsitzende mitgeteilt habe, dass am selben Tag plädiert werden solle.

Der BGH hat die Verwerfung des Gesuchs gem. § 26a StPO als „willkürlich” angesehen. „Unverzüglich” i.S.d. § 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO bedeute nicht „sofort”, sondern nur „ohne schuldhaftes Zögern” (BGH NJW 2018, 2578). Trotz des dabei anzulegenden strengen Maßstabs (vgl. BGH NStZ 2006, 644; NStZ 2015, 175; Urt. v. 10.11.2015 – 5 StR 303/15) sei dem ablehnungsbefugten Angeklagten Zeit zur Überlegung, zur Besprechung mit seinem Verteidiger und zur Abfassung des Gesuchs einzuräumen (st. Rspr., vgl. nur BGH NJW 2018, 2578; NStZ 2015, 175; NStZ-RR 2012, 211). Welche Zeitspanne dafür zuzubilligen sei, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BGH NJW 2018, 2578). Dass dem Angeklagten nach dem die Besorgnis der Befangenheit aus seiner Sicht begründenden Ereignis eine zumindest kurze Zeit für die Überlegung, für die Besprechung mit seinem Verteidiger und für die Abfassung des Antrags einzuräumen sei, sei seit vielen Jahren in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt. Indem dem Angeklagten unter Mitwirkung des wegen zu zügiger Verhandlungsführung abgelehnten Vorsitzenden hier jede Überlegungs-, Besprechungs- und Abfassungszeit in unvertretbarer Weise abgesprochen worden sei, sei § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO letztlich willkürlich angewendet worden.

 

Hinweis:

Diese Entscheidung ist zutreffend, sie entspricht der Rechtsprechung des BGH in dieser Frage.

Interessant ist auch noch der Hinweis, den der BGH im Hinblick auf die Angemessenheit der Vorbereitungszeit für das Plädoyer gibt. Bei einem Verfahren mit erheblichem Gewicht (hier: drohende unbefristete Unterbringung nach § 63 StGB) dürfe die Zeit für die Vorbereitung des Plädoyers nicht zu knapp bemessen werden, und zwar gerade dann, wenn der Sachverständige erst kurz zuvor die Erstattung des entscheidenden Gutachtens beendet habe und angesichts vorausschauender Terminierung – hier war ein dritter Hauptverhandlungstag geplant – keine Zeitnot besteht. Insoweit wäre ein „kurzer Prozess” verfehlt.

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