Die Bundesregierung hat kürzlich den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens vorgelegt, das vom Bundestag am 15.11.2019 beschlossen wurde und am 29.11.2019 nun auch vom Bundesrat (BR) bestätigt wurde (vgl. BR-Drucks 602/2019 – https://www.bundesrat.de/bv.html?id=0602-19; zum Vorhaben zuletzt ZAP-Anwaltsmagazin 21/2019, S. 1092). Unter anderem sollen damit missbräuchlich gestellte Befangenheits- und Beweisanträge unter erleichterten Voraussetzungen abgelehnt und die Nebenklagevertretung gebündelt werden können. In Gerichtsverhandlungen soll das Verbot eingeführt werden, das Gesicht ganz oder teilweise zu verdecken. Zur Verfolgung des Wohnungseinbruchdiebstahls soll die Telekommunikationsüberwachung erweitert werden. Auch sollen die Möglichkeiten der DNA-Analyse im Strafverfahren noch weitreichender genutzt werden können. Der Opferschutz im Strafverfahren wird weiter gestärkt. Der Entwurf sieht dazu u.a. vor, die audiovisuelle Aufzeichnung von richterlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren von zur Tatzeit erwachsenen Opfern von Sexualstraftaten verpflichtend vorzuschreiben. Zwischenzeitlich hat auch der Bundesrat seine Zustimmung erteilt.

Zu dem Vorhaben fand am 11.11.2019 zuvor noch eine Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags statt. Hier wurde ein geteiltes Echo seitens der geladenen Experten deutlich. Während die eingeladenen Richter die Dringlichkeit der im Entwurf vorgesehenen Maßnahmen betonten, lehnten die Verteidiger die Pläne weitgehend ab.

So begrüßte etwa der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds, Jens Gnisa, die geplante Reform. Die gerichtliche Praxis warte darauf seit Jahren, denn Strafverfahren dauerten immer länger. 86 % der Richter und Staatsanwälte sprächen sich für die geplanten Reformen aus. Mit dem Entwurf werde versucht, nur Auswüchse zu kappen, ohne Beschuldigtenrechte im Übermaß zu beschränken. Die vier zentralen Regelungen zu Befangenheitsanträgen, Besetzungsrügen, zum Beweisantragsrecht und zur Bündelung der Nebenklage seien ebenso wie die weiteren Regelungen im Grundsatz ausgesprochen sinnvolle Ergänzungen.

Ein geladener BGH-Richter verwies in seiner Stellungnahme darauf, dass erstinstanzliche Strafverfahren vor den Landgerichten ungeachtet überschaubarer Tatvorwürfe und nicht überaus komplizierter Beweislage immer wieder unverständlich lange dauerten. Gesetzliche Änderungen wie die vorgeschlagenen reichten zur Behebung dieses Missstands allerdings nicht aus. So müsse dringend in die Fortbildung der Vorsitzenden Richterinnen und Richter an den Landgerichten zum Thema effektive Verhandlungsführung investiert werden.

Demgegenüber erklärte der Vertreter der Vereinigung Berliner Strafverteidiger, der Entwurf wolle keine Reform und Modernisierung des Strafverfahrens. Es gehe stattdessen darum, Formen des Strafprozessrechts abzuschleifen, die vermeintlich einem schnellen Verfahrensabschluss hinderlich seien. Dadurch wachse die Gefahr von Fehlurteilen. Die verhängnisvollen Tendenzen des Entwurfs zeigten sich besonders an den Regelungen zum Beweisantragsrecht, zur Besetzungsrüge und zum Befangenheitsrecht.

Ähnlich kritisch sah dies ein Professor von der Goethe-Universität Frankfurt a.M. Er verwies auf die von ihm mitverantwortete Stellungnahme des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer. Darin heißt es, der eine Modernisierung des Strafverfahrens beanspruchende Gesetzentwurf enthalte ein Sammelsurium von Gesetzesänderungen, die einen übergreifenden rechtspolitischen Zweck vermissen ließen. Neben durchaus einsichtigen Regelungen, wie etwa der Einführung eines bundesweit geltenden Gerichtsdolmetschergesetzes, gebe es problematische Änderungen hinsichtlich der Besetzungsrüge, des Beweisantrags- und des Befangenheitsrechts. Sie enthielten gravierende Einschnitte in Verfahrensgrundrechte des Beschuldigten ohne Mehrwert für eine Beschleunigung von Strafverfahren. Auch kritisierte er die Erweiterung der Telekommunikationsüberwachung zur Verfolgung des Einbruchsdiebstahls und die Erweiterung der DNA-Analysemöglichkeiten.

[Quelle: Bundestag]

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge