Das LG Frankfurt (Oder) hat zur Bestimmung der Tagessatzhöhe bei einem Bezieher von ALG II Stellung genommen (Beschl. v. 27.7.2022 – 24 Qs 45/22, StraFo 2022, 366). Dem Verfahren lag ein Strafbefehl wegen eines in einem Discounter begangenen Diebstahls von Waren im Gesamtwert von 27,56 EUR zugrunde. Das AG hat eine Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 20 EUR festgesetzt. Auf den Einspruch des Angeklagten und Beschränkung des Einspruchs auf die Höhe des Tagessatzes, hat das AG die Höhe des Tagessatzes auf 24 EUR festgesetzt. Dagegen hat der Angeklagte sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Jobcenter (ALG II) i.H.v. insgesamt 721,75 EUR (Regelbedarf: 446 EUR, Sachleistung Miete: 275,75 EUR) erhalte und die vom Gericht vorgenommene schematische Anwendung des § 40 Abs. 2 StGB ermessensfehlerhaft sei. Die Leistungen für die Miete seien nicht frei verfügbar, ohne seine persönliche Existenz durch Obdachlosigkeit zu gefährden, und das zum Lebensbedarf Unerlässliche, d.h. 70 % des Regelbedarfs (§ 43 SGB II), müsse ihm erhalten bleiben. Auch habe er bereits auf ein Forderungsschreiben der Geschädigten einen Betrag i.H.v. 98 EUR an diese gezahlt.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Das LG (a.a.O.) hat die Tagessatzhöhe des Strafbefehls auf 10 EUR gesenkt. Das LG hat dabei grds. zur Festsetzung der Tagessatzhöhe in diesen Fällen Stellung genommen. Grundlage für die Festsetzung der Tagessatzhöhe ist danach das Nettoeinkommen – zum Zeitpunkt derâEUR™Entscheidung – als Saldo der anzurechnenden Einkünfte und der abziehbaren Belastungen, das wirtschaftlich gesehen die Leistungsfähigkeit und den Lebenszuschnitt des Täters bestimmt (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 40 Rn 6 und 7, m.w.N.). Bei einkommensschwachen Personen, wie Empfängern von ALG II, kommt es damit auf die Gesamtheit der Unterstützung- oder Versorgungsleistungen samt etwaigen Sachbezügen an (Fischer, a.a.O., § 40 Rn 11 m.w.N.). Gemessen an diesen Grundsätzen wären damit die dem Angeklagten vom Jobcenter gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (ALG II) i.H.v. 721,75 EUR (Regelbedarf plus Sachleistung) als Nettoeinkommen anzusetzen, aus denen sich eine Tagessatzhöhe i.H.v. 24,40 EUR ergäbe.

Die vorgenannte Berechnung stößt nach Auffassung des LG aber bei einem Angeklagten, der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (ALG II) bezieht und finanziell am Existenzminimum lebt, an rechtstaatliche Grenzen. Es bedürfe daher einer nicht formelhaften und individuellen Ausgestaltung der Bestimmung der Tagessatzhöhe. Der systembedingt härteren Betroffenheit dieser Angeklagten könne durch Senkung der Tagessatzhöhe entgegengewirkt werden (Fischer, a.a.O., § 40 Rn 11 a m.w.N.), was auch dem Gedanken, dass die Bemessung der Höhe des Tagessatzes keine rein schematische Berechnung sein dürfe, Rechnung getragen werden (Fischer, a.a.O., § 40 Rn 6 a m.w.N.).

Dabei geht das LG in zwei Schritten vor:

  • Im ersten Schritt muss dem Bezieher von Sozialleistungen ein Betrag verbleiben, der es ihm ermöglicht, ein menschenwürdiges Leben ohne die Gefahr der Obdachlosigkeit zu führen. Der Gefahr der Obdachlosigkeit kann nach Auffassung des LG in erster Linie entgegengewirkt werden, wenn die diesbezügliche Sachleistung bei dem Bezieher der Leistungen ungekürzt verbleibt und damit diese Sachleistung von dem anrechenbaren Nettoeinkommen abgesetzt wird.
  • Von dem verbleibenden Regelbedarf ist dann der Betrag zu ermitteln, der zur Sicherung des Lebensunterhalts unerlässlich ist. Der "unerlässliche Lebensbedarf" richtet sich nach dem Recht derâEUR™Sozialhilfe (§ 26 Abs. 2 SGB XII) und ist ein Bruchteil zwischen 70 % und 80 % des jeweiligen Regelbedarfs nach der Anlage zu § 28 SGB XII (VGH München NVwZ-RR 1994, 398 [70 %]; OVG Bremen FEVS 37, 471 [80 %]), wobei die Kammer den Bruchteil mit einem Mittelwert von 75 % bestimmt (so auch OLG Köln, Beschl. v. 10.6.2011 – III-1 RVs 96/11; LG Köln, Urt. v. 25.4.2018 – 153 Ns 89/17, jeweils und m.w.N.). Der drei- bis vierfache Betrag der Differenz zwischen dem Regelbedarf und dem zum Leben unerlässlichen Betrag bildet dann den Geldbetrag, der als monatlich anzurechnendes Nettoeinkommen zur Berechnung der Tagessatzhöhe zugrunde gelegt wird (Fischer, a.a.O., § 40 Rn 11 a m.w.N.). Darüber hinaus kann im Einzelfall – unter Beachtung der Notwendigkeit der Wahrung der Strafe als ernsthaft fühlbares Übel – die Tagessatzhöhe auch unterhalb eines Dreißigstel der monatlichen anzurechnenden Geldzahlungen festgesetzt werden (OLG Köln, a.a.O.).

Im entschiedenen Fall bedeutete dies, dass für den Angeklagten bei einem aktuellen Regelsatz zum Zeitpunkt der Entscheidung i.H.v. monatlich 449 EUR (Anlage zu § 28 SGB XII: eine erwachsene Person, die in einer Wohnung lebt, Regelbedarfsstufe 1 ab dem 1.1.2022) der zum Leben unerlässliche Betrag mit monatlich 336,75 EUR zu beziffern war. Die Differenz dieses Betrags zum Regelsatz beträgt somit 112,25 EUR monatlich und damit 3,75 EUR täg...

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