Durch das Urt. v. 14.12.2021 (1 C 40.20, NVwZ 2022, 799 ff.) präzisiert das BVerwG ein weiteres Mal (s. insoweit den Rechtsprechungsüberblick in ZAP F. 19 R, 565) die in § 10 AsylG geregelten besonderen Vorsorge- und Mitwirkungsobliegenheiten, bei deren Verletzung der Ausländer mit für ihn nachteiligen rechtlichen Konsequenzen rechnen muss. Im Zentrum der Entscheidung steht dabei die Frage, wann die in § 10 Abs. 1 Hs. 2 AsylG geregelte Anzeige eines Anschriftenwechsels (noch) als „unverzüglich” i.S.d. vorgenannten Vorschrift angesehen werden kann. An die Verletzung dieser zentralen Mitwirkungsobliegenheit knüpft das Asylgesetz in § 10 Abs. 2 S. 1 und 4 eine Zustellungsfiktion: Der Ausländer muss Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle aufgrund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, grds. gegen sich gelten lassen (S. 1). Kann die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden, so gilt die Zustellung (rückwirkend) mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt (S. 4). Mit dem Eintritt dieser Zustellfiktion, an deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht das BVerwG unter Bezugnahme auf seine bisherige Judikatur weiterhin keine Zweifel hat, wird zugleich die in § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG geregelte zweiwöchige Klagefrist – und zwar in aller Regel ohne Kenntnis des Betroffenen – in Gang gesetzt.

Das BVerwG beantwortet die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage der zeitlichen Dimension des in § 10 Abs. 1 Hs. 2 AsylG verwendeten Begriffs „unverzüglich” – das Spektrum der vertretenen Auffassungen reicht von längstens einer Woche über zwei Wochen bis hin zu einem Monat – dahingehend, dass der Ausländer den Anschriftenwechsel bei den im Gesetz genannten Stellen binnen zwei Wochen, gerechnet ab dem tatsächlichen Umzugstag, anzuzeigen hat. Diese Frist folge zwar weder aus dem Wortlaut noch der Entstehungsgeschichte, die insoweit keinen klaren Aufschluss gäben, noch aus systematischen Erwägungen, wohl aber aus dem Sinn und Zweck der Regelung, die Belange einer zügigen Durchführung von Asylverfahren mit den Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) und einen wirksamen Rechtsbehelf (Art. 47 GRC; Art. 46 Abs. 4 RL 2013/32/EU) in Einklang zu bringen. Die vom BVerwG in Anlehnung an die in § 17 Abs. 1 BMG geregelte Frist für die Anmeldung des Bezugs einer neuen Wohnung favorisierte starre Zweiwochenfrist vereint das Prinzip der Beschleunigung einerseits mit den Erfordernissen eines fairen und vor allem rechtssicher und einfach zu handhabenden Verwaltungsverfahrens andererseits.

An eine bestimmte Form ist die Anzeige des Anschriftenwechsels nicht gebunden; geschuldet ist allein der Erfolg, also der rechtzeitige Eingang bei der jeweiligen Stelle. Dabei gehen etwaige Verzögerungen oder sonstige bei der Übermittlung auftretende Probleme zulasten des Ausländers.

 

Hinweis:

Mangels Entscheidungserheblichkeit ausdrücklich offen gelassen hat das BVerwG die Frage, ob der Rechtsauffassung zu folgen ist, nach der die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 S. 1 und 4 AsylG weitergehend voraussetzt, dass das Scheitern der Zustellung des Bescheids auf der Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit aus § 10 Abs. 1 Hs. 2 AsylG beruhen muss, und dies auch erfordert, dass die Frist zur unverzüglichen Anzeige bereits zum Zeitpunkt der Aufgabe des Bescheids zur Post, also dem Zeitpunkt, zu dem die Zustellung als bewirkt gilt, oder zumindest zum Zeitpunkt des tatsächlichen Zustellungsversuchs abgelaufen ist.

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