Voraussetzung für die Altersrente für besonders langjährige Versicherte ist nach § 38 SGB VI die Vollendung des 65. Lebensjahres und die Erfüllung einer Wartezeit von 45 Jahren. Eine Vertrauensregelung besteht hinsichtlich dieser Rente für Versicherte, die vor dem 1.1.1964 geboren sind (§ 236b SGB VI) bzw. für die vor dem 1.1.1953 Geborenen (§ 236b Abs. 2). Dieser Personenkreis kann nach Maßgabe der genannten Bestimmungen die Rente bereits vor der Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen.

Welche Zeiten auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden, regelt § 51 Abs. 3a S. 1 SGB VI. Nach Nr. 3 Buchst. a Teilsatz 2 dieser Vorschrift werden Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten 2 Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug dieser Leistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt (Teilsatz 3). Der Gesetzgeber wollte durch die Ausnahme von der Anrechenbarkeit der Zeiten des Bezugs von Entgeltersatz der Arbeitsförderung auf die 45-jährige Wartezeit in den letzten 2 Jahren vor Rentenbeginn Fehlanreize in Bezug auf eine unerwünschte Rückkehr zur Frühverrentungspraxis vergangener Jahre vermeiden. Zur Verhinderung von Härtefällen hat er gleichzeitig die Rückausnahmefälle des durch Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingten Leistungsbezug vorgesehen.

In der vom BSG am 22.3.2021 – B 13 R 7/20 R entschiedenen Fallkonstellation ging es um die Frage, ob eine vollständige Geschäftsaufgabe i.S.d. Vorschrift bereits dann vorliegt, wenn die ursprüngliche Geschäftstätigkeit komplett aufgegeben wird, der frühere Arbeitgeber aber am Wirtschaftsleben mit einem völlig anderen Geschäftsgegenstand (Vermietung der früheren Betriebsstätte an Dritte) weiter am Wirtschaftsleben teilnahm. Das BSG bejaht dies durch eine entsprechende Auslegung nach dem Wortlaut der Norm (Rn 22 ff.), unter Hinweis auf den sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden Sinn und Zweck der Vorschrift (Rn 27 ff) und aus systematischer Sicht durch den Vergleich mit dem weiteren gesetzlich geregelten Rückausnahmetatbestand der Insolvenz des Arbeitgebers (Rn 30 ff.).

Eine weitere Besonderheit bestand vorliegend darin, dass die Klägerin bei dem Arbeitgeber, der seine ursprüngliche Geschäftstätigkeit vollständig aufgegeben hatte, bis zum 31.5.2014 beschäftigt war, dann vom 1.6. bis zum 31.10.2014 Arbeitslosengeld bezog, vom 1.11. bis zum 15.3.2015 von einem anderen Arbeitgeber erneut versicherungspflichtig beschäftigt wurde und sodann auf der Grundlage des zuvor noch nicht ausgeschöpften ursprünglichen Anspruchs von insgesamt 24 Monaten vom 16.3.2015 bis zum 14.10.2016 erneut Arbeitslosengeld erhielt. Das BSG entscheidet, dass für die Frage, ob der Leistungsbezug durch vollständige Geschäftsaufgabe „des Arbeitgebers” bedingt ist, nicht nur auf den letzten Arbeitgeber vor dem Leistungsbezug abzustellen ist. Vielmehr kann der im Sozialrecht anzuwendenden Lehre von der wesentlich mitwirkenden Bedingung der Leistungsbezug auch durch vollständige Geschäftsaufgabe eines früheren Arbeitgebers bedingt sein (s. bereits BSG v. 20.5.2020 – B 13 R 23/18 R). Das Gericht sieht die vollständige Geschäftsaufgabe der vorletzten Arbeitgeberin der Klägerin als Ursache für deren nochmalige Arbeitslosigkeit als „wesentlich mitwirkenden Bedingung” für den erneuten Arbeitslosengeldbezug an. Insbesondere habe die Kündigung der Klägerin durch die letzte Arbeitgeberin als konkurrierende Ursache gegenüber der anderen Ursache keine überragende Bedeutung.

 

Hinweis:

Die Klägerin hatte auf den Rentenantrag die Altersrente für langjährige Versicherte (§ 36 SGB VI) angekreuzt, die erst nach Vollendung des 67. Lebensjahrs ohne Abschlag möglich ist. Das BSG geht in ständiger Rechtsprechung, so auch vorliegend, jedoch davon aus, dass nach dem Günstigkeitsprinzip (Grundsatz der Meistbegünstigung) der Rentenantrag von Versicherten auf die für sie günstigste Altersrentenart gerichtet ist, so auch schon BSG v. 29.11. 2007 – B 13 R 44/07 R. Auch ist es für den Anspruch der Klägerin unschädlich, dass sie bereits seit dem 1.11.2016 – ab dann erfüllte sie die Voraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährige Versicherte – eine Altersrente für langjährig Versicherte bezog. Zwar bestimmt § 34 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI, dass nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente der Wechsel in eine andere Rente wegen Alters ausgeschlossen ist. Diese Regelung betrifft aber nicht den Anspruch auf eine andere Altersrente, die vor oder gleichzeitig mit der bindend bewilligten oder bezogenen Altersrente beginnt (s. bereits BSG, Urt. v. 20.5.2020 – B 13 R 23/18 R).

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge