1 Scharfe Kritik an Novelle zum Strafverfahrensrecht

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat in seiner offiziellen Stellungnahme zum – inzwischen auch vom Bundeskabinett beschlossenen – Gesetzentwurf zur Modernisierung des Strafverfahrens (vgl. dazu zuletzt ZAP-Anwaltsmagazin 18/2019, S. 940) kaum ein gutes Haar an dem Vorhaben gelassen. Erst vor gerade einmal zwei Jahren sei, so der Verein, das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens in Kraft getreten. Statt erst einmal zu untersuchen, ob dieses Gesetz seinen Zweck erfülle, werde jetzt stattdessen erneut versucht, die Beschuldigten- und Verteidigerrechte weiter zu verkürzen.

Der jetzt vorliegende Entwurf zeuge von einem "reaktionären Prozessverständnis". Die noch offenen Empfehlungen der Expertenkommission (z.B. zur überfälligen Schaffung einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz von V-Personen) ignoriere er und greife stattdessen Ideen des 2. Strafkammertags auf, die einseitig auf eine Beschneidung von Verteidigungsrechten ausgerichtet seien und nicht die Balance der Kräfte im Strafverfahren im Auge hätten. Folgende vorgesehenen Regelungen lehnt der DAV kategorisch ab oder verlangt zumindest Änderungen:

  • Die geplanten Eingriffe in das Befangenheitsrecht und das Beweisantragsrecht hätten keinen Mehrwert für die Praxis und schafften eher zusätzlichen Konfliktstoff für die Hauptverhandlung.
  • Die Einführung eines isolierten Beschwerdeverfahrens im (praktisch bedeutungslosen) Recht der Besetzungsrüge sei im Grundsatz akzeptabel, bedürfe aber einiger Änderungen im Verfahrensablauf.
  • Die geplante Ausweitung der Unterbrechungsdauer durch neue Hemmungsfristen und neue Hemmungstatbestände greife unverhältnismäßig in die Konzentrationsmaxime ein und sei abzulehnen.
  • Eine Erweiterung der DNA-Analysemethoden komme nur für die Altersbestimmung in Betracht, nicht aber für sonstige Merkmale wie Haut-, Haar- und Augenfarbe.
  • Für eine Ausweitung von Bild-Ton-Aufzeichnungen von Zeugenvernehmungen im Ermittlungsverfahren und deren Transfer in die Hauptverhandlung bestehe kein Anlass.
  • Unverhältnismäßig sei die Aufnahme des Wohnungseinbruchsdiebstahls in den Katalog des § 100a Abs. 2 StPO.
  • Das Verbot der Gesichtsverhüllung sei überflüssig.
  • Der vorgesehenen Bündelung der Nebenklage könne nur zugestimmt werden, wenn sie auf Ausnahmefälle beschränkt werde und wenn möglichen Interessenkonflikten hinreichend Rechnung getragen werde.

Alles in allem, so der DAV, gehe es bei der geplanten Neuregelung nicht um "Modernisierung", wie der Titel suggeriere. Der Verein fordert deshalb den Gesetzgeber zu einer wirklichen Modernisierung des Strafverfahrens auf, die diesen Namen verdiene, die das Strafverfahren von seinen – in der Rolle des Vorsitzenden kulminierenden – "autoritären Strukturen befreie" und mehr Kommunikation und Transparenz zwischen den Verfahrensbeteiligten ermögliche. Auch solle er sich auf empirischer Basis auf verlässliche Rechtstatsachen stützen und sich nicht von einem "gefühlten Klima der Prozesssabotage" leiten lassen.

[Quelle: DAV]

2 EU sieht Defizite bei Beschuldigtenrechten

Beschuldigte in Strafverfahren werden oft nicht ausreichend über ihre Rechte informiert und haben nicht immer angemessenen Zugang zum Recht. Dies ergibt sich aus einem aktuellen Bericht der European Union Agency for Fundamental Rights (FRA). Sie hatte im Auftrag der EU-Kommission u.a. untersucht, wie die Mitgliedsstaaten die entsprechende EU-Richtlinie über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand umgesetzt haben.

Dazu hat die Agentur mehr als 250 Beschuldigte und Angehörige der Rechtsberufe in acht Mitgliedsstaaten befragt. Nach der EU-Richtlinie 2013/48/EU ist eine einheitliche Art der Belehrung in mündlicher und schriftlicher Weise, die Mitteilung der erhobenen Anschuldigungen, die unmittelbare Gewährung eines Rechtsbeistandes und die Behandlung als Verdächtiger und nicht als Zeuge oder mittels informeller Befragung erforderlich. Im Zusammenhang mit dem Europäischen Haftbefehl sollten die Mitgliedsstaaten auch Übersetzungs- und Dolmetscherdienste zur Verfügung stellen, damit die Beschuldigten die Konsequenzen und Bedeutung nachvollziehen können.

Ergebnis der Untersuchung war, dass Beschuldigte häufig Probleme haben, in einigen Ländern eine rechtliche Vertretung zu erhalten. Auch brachte die Befragung ans Licht, dass die Strafverfolgungsorgane in vielfacher Weise die Beschuldigtenrechte regelrecht "unterlaufen". So wird berichtet, dass Polizeibeamte Beschuldigte zunächst als Zeugen befragen, um die entsprechenden vorgeschriebenen Belehrungen zu vermeiden. Andere benutzen eine derart verrechtlichte und damit für viele schwer verständliche Ausdrucksweise bei der Belehrung, dass diese Information für die Betreffenden wenig hilfreich ist. Selbst Beschuldigten, die es schaffen, an einen Anwalt zu gelangen, werden zahlreiche Hindernisse in den Weg gelegt.

Der vollständige 74-seitige Bericht der Agentur (derzeit leider nur in englischer Fassung verfügbar) kann auf deren Internetseite unter https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2019-r...

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