Bekanntlich werden Wälder nicht nur wirtschaftlich oder für Zwecke des Naturschutzes genutzt. Es überwiegt die Freizeitnutzung in vielfältiger, manchmal fragwürdiger Form. Dass es dabei zu Unfällen kommt, ist jeder Nutzungsart immanent. Fraglich ist, in welchen Fällen dafür eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ursächlich ist. Hierzu hat der BGH eine viel beachtete Grundsatzentscheidung getroffen:

 

Beispiel:

(BGH, Urt. v. 2.10.2012 – VI ZR 311/11, VersR 2012, 1528 ff.)

Eine Spaziergängerin wurde im Wald von einem herabfallenden Ast getroffen und dabei schwer verletzt. Sie ging mit ihrem Hund in einem etwa 300 ha großen, von einem privaten Forstbetrieb planmäßig bewirtschafteten Wald spazieren, der als Naherholungsgebiet dient. Zuständig für diesen Bereich ist ein bei dem Forstbetrieb angestellter Diplom-Forstwirt. In einer Abteilung des Waldes steht ein 106-jähriger Eichenwald, der teilweise mit anderen Laub- und Nadelhölzern gemischt ist und durch den ein 3,5 m breiter Forstwirtschaftsweg führt. Von einer Eiche, die etwa fünf bis sechs Meter neben diesem von der Spaziergängerin benutzten Weg stand, löste sich ein sog. Starkast, der sie am Hinterkopf traf. Der Ast war etwa 17 m lang, mehrfach gekrümmt und in ca. 4,5 m Entfernung vom Stamm gegabelt. Sein Durchmesser betrug an der Basis 26 cm und im Ausgangsbereich des Bruchs – ca. 1,8 bis 2,0 m Entfernung vom Stamm – etwa 23 cm. Zum Unfallzeitpunkt herrschten große Hitze und leichter Wind.

Die Spaziergängerin erlitt eine schwere Hirnschädigung. Sie hat sowohl den Forstbetrieb als Waldeigentümer als auch den Diplom-Forstwirt wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten auf Schadensersatz in Anspruch genommen. In erster Instanz hatte das LG die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat das OLG der Klage stattgegeben. Der BGH hat im Revisionsverfahren das Urteil des OLG aufgehoben und das Urteil des LG wiederhergestellt, also die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Zunächst hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung zur Verkehrssicherungspflicht wiederholt und darauf hingewiesen, dass es keine Möglichkeit gibt, jegliches Unfallgeschehen auszuschließen. Deshalb reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind. Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte – so hart dies im Einzelfall sein mag – den Schaden selbst tragen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und der gesetzlichen Risikozuweisung hinsichtlich waldtypischer Gefahren hat der BGH eine Haftung des Forstbetriebs wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht verneint.

Er hat dies damit begründet, dass nach den einschlägigen Regelungen der Landeswaldgesetze das Betreten des Waldes jedermann gestattet ist. Allerdings erfolgt die Benutzung des Waldes auf eigene Gefahr. Hieraus ergibt sich, dass der Waldbesitzer grundsätzlich nur für atypische Gefahren, nicht aber für waldtypische Gefahren haftet.

Man handelt dann auf eigene Gefahr, wenn man sich in eine Situation drohender Eigengefährdung begibt, obwohl man die besonderen Umstände kennt, welche eine konkrete Gefahrenlage begründen. Ein Waldbesucher setzt sich mit dem Betreten des Waldes bewusst den waldtypischen Gefahren aus. Nach der Wertung des Gesetzgebers fallen diese Gefahren grundsätzlich in seinen Verantwortungsbereich. Insoweit fehlt es an einer Verkehrssicherungspflicht des Waldbesitzers. Diesem sollen durch die "Öffnung" des Waldes für jedermann neben der normalen Verkehrssicherungspflicht keine weiteren Sicherungspflichten auferlegt werden.

Die Verkehrssicherungspflicht des Waldbesitzers ist allerdings nicht völlig ausgeschlossen, sondern lediglich auf die Sicherung gegen solche Gefahren beschränkt, die nicht waldtypisch, sondern im Wald atypisch sind. Diese Haftungsbeschränkung gilt auch für Waldwege, denn sie gelten ebenfalls als Wald. Der Waldbesucher, der auf eigene Gefahr Waldwege betritt, kann grundsätzlich nicht erwarten, dass der Waldbesitzer Sicherungsmaßnahmen gegen waldtypische Gefahren ergreift. Mit waldtypischen Gefahren muss der Waldbesucher stets, also auch auf Wegen rechnen. Er ist in erster Linie selbst für seine Sicherheit verantwortlich. Risiken, die ein freies Bewegen in der Natur mit sich bringt, gehören grundsätzlich zum entschädigungslos hinzunehmenden allgemeinen Lebensrisiko.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der Verkehrssicherungspflicht für Straßenbäume. Der Eigentümer des an einer öffentlichen Straße liegenden baumbewachsenen Grundstücks...

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