I. Allgemeines

1. Rechtsnatur

Der Prozessvergleich ist in der ZPO nur geringfügig geregelt (vgl. §§ 794, 278 Abs. 6, 160, 162 ZPO), etwas genauer im § 36 FamFG. Er hat eine Doppelnatur, er ist nämlich privates Rechtsgeschäft und zugleich Prozesshandlung (BGH NJW 1974, 107). Wegen der Doppelnatur muss er den materiell-rechtlichen Voraussetzungen (§ 779 BGB; gegenseitiges Nachgeben; BGH NJW 1999, 2806) genügen und als Prozessvertrag den prozessualen Regeln (z.B. Anwaltszwang).

 

Hinweis:

Ein Prozessvergleich ersetzt die Protokollierung, die notarielle Beurkundung (§ 127a BGB), die öffentliche Beglaubigung (§ 129 Abs. 2 BGB) und die Schriftform (§ 126 Abs. 4 BGB).

2. Vorteile, Nachteile

Ein erheblicher Teil der Zivilprozesse wird durch Vergleich beendet: Er spart dem Richter Arbeit und ist für seine Beurteilung günstig. Beim Anwalt lässt der Vergleich eine weitere 1,0-Gebühr anfallen (Nr. 1003 VV RVG) und erspart ihm weitere Termine. 2/3 der Gerichtskosten werden zurückbezahlt (Nr. 1210, 1211 KV GKG), weil gerichtliche Arbeit und Rechtsmittel erspart werden. Der Partei bringt der Prozessvergleich eine Verkürzung des Verfahrens und den Wegfall von Rechtsmittelmöglichkeiten, das Verfahren wird insgesamt verteuert, außer es entfallen künftige Beweisaufnahmen, insbesondere Sachverständigengutachten. Erspart der Prozessvergleich eine notarielle Beurkundung, bleiben Vollzugs- und Betreuungsgebühren des Notars beim Kostenvergleich meist außer Betracht, weil das Gericht keine derartigen Leistungen erbringt. Manchmal bereut der Mandant später den Vergleich und geht gegen seinen Anwalt wegen mangelhafter Beratung vor.

3. Anforderungen an den Anwalt

Beabsichtigt der Anwalt, einen Vergleich abzuschließen, so muss er vorher die Partei darüber informieren, mit welchem Inhalt er ihn abzuschließen gedenkt und ihre Zustimmung einholen. Über Vor- und Nachteile hat er seinen Mandanten zu unterrichten (Borgmann NJW 2002, 2145). Ein Vergleich sollte der bisherigen Sach- und Rechtslage entsprechen unter Einschätzung des Ergebnisses künftiger Beweiserhebungen; das ist leichter gesagt als getan. Der BGH (NJW 1993, 1325) verlangt eine Prüfung, ob ein Urteil wesentlich günstiger sein würde als der Vergleich; hier werden vom Anwalt prophetische Fähigkeiten verlangt. Der BGH meint, es sei Pflicht des Rechtsanwalts, nach Kräften dem Aufkommen von Irrtümern und Versehen des Gerichts (!) entgegenzuwirken (BGH NJW 2009, 987; bestätigt BVerfG NJW 2009, 2945).

Unterlässt es der Berufungsanwalt, auf ein für seinen Mandanten günstiges Urteil des BGH hinzuweisen und verliert der Mandant deshalb den Prozess, dann haftet der Anwalt, obwohl auch das Gericht die Entscheidung des BGH übersehen hat (BGH NJW 2009, 987). Ob ein Vergleich geschlossen werden soll, entscheiden die Parteien. Oft unsachgemäß sind die häufigen gerichtlichen Vergleichsvorschläge auf 50 % der Klagesumme. Die Partei muss den Vergleich in seiner Tragweite verstehen und erkennen, welche Risiken sie eingeht, welche Positionen sie verliert (vgl. BGH NJW 1993, 1325). Die Partei ist zwar gegenüber ihrem Anwalt weisungsberechtigt, aber letztlich in ihrer Entscheidung auf die Erfahrung des Anwalts angewiesen.

 

Praxishinweis:

Manchmal drängt der Richter die Parteien zu einem Vergleich; die eingeschüchterte Partei will sich schließlich vergleichen, der Anwalt nicht, weil er nach Beweisaufnahme für ein Urteil, spätestens in der Berufung, viel bessere Chancen sieht; dann sollte der Anwalt zumindest zu Protokoll geben, dass er seiner Partei vom Vergleich abgeraten hat.

4. Mangelhafte Vergleiche und ihre Folgen

a) Nichtigkeit

Ein Vergleich kann z.B. aus materiell-rechtlichen Gründen nichtig sein, weil kein beiderseitiges Nachgeben i.S.v. § 779 BGB vorlag, oder aus prozessualen Gründen, weil er nicht nochmals vorgelesen und genehmigt wurde (§ 162 ZPO). In diesem Fall ist dies dem Gericht darzulegen und die Fortsetzung des bisherigen Prozesses zu beantragen (BGH NJW 1981, 823).

b) Anfechtung

Selten ist eine Anfechtung der materiell-rechtlichen Seite nach §§ 119, 123 BGB möglich; auch hier ist die Fortsetzung des Prozesses zu beantragen. Aus der Doppelnatur des Prozessvergleichs folgt, dass er den Prozess nicht beendet, wenn er aus sachlich-rechtlichen Gründen nichtig oder anfechtbar ist. Der Kläger stellt den alten Klageantrag, der Beklagte beantragt festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich beendet ist.

c) Rücktritt

Falls ein (vereinbarter oder gesetzlicher) Rücktrittsgrund (z.B. § 323 BGB, Nichterfüllung) vorliegt, ist ebenfalls der alte Prozess fortzusetzen (BGH NJW 1985, 795; streitig).

d) Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)

Eine Anpassung des Prozessvergleichs (mit der Folge von Nachforderungen) kommt in Betracht, wenn ein Festhalten am Vergleich nach Treu und Glauben nicht zumutbar ist, weil entweder die Geschäftsgrundlage für den Vergleich weggefallen ist oder sich geändert hat, so dass eine Anpassung an die veränderten Umstände erforderlich erscheint, oder weil nachträglich erhebliche Äquivalenzstörungen in den Leistungen der Parteien eingetreten sind, die für den Geschädigten nach den gesamten Umständen des Falls eine ungewöhnliche Härte bedeuten würden. Soweit der Geschädigte das Risik...

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