Leitsatz (amtlich)

Ist die prozeßerledigende Wirkung eines Prozeßvergleichs durch rechtskräftiges Urteil ausgesprochen worden, so kann in einem neuen Rechtsstreit grundsätzlich nicht mehr die materiell-rechtliche Unwirksamkeit des Vergleichs geltend gemacht werden.

 

Normenkette

ZPO § 794 Abs. 1 Nr. 1, § 322 Abs. 1; BGB § 779

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Urteil vom 12.07.1979)

LG Berlin (Urteil vom 19.04.1978)

 

Tenor

Unter Zurückweisung der Revision des Klägers wird auf die Anschlußrevision des Beklagten das Urteil des 20. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 12. Juli 1979 abgeändert.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 19. April 1978 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens trägt der Kläger.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Rückabwicklungsansprüche nach einem beendeten Pachtverhältnis.

Durch Vertrag vom 13. Dezember 1960 verpachteten die Eltern des Klägers, die Eheleute Carl und Marie R. das von ihnen in gemieteten Räumen im Hause B. C., K. straße 107, betriebene optische Fachgeschäft einschließlich Inventar, Warenlager und Kundenstamm an den Beklagten. Der Pachtzins, der im Vertrag mit 500 DM festgesetzt wurde, stieg aufgrund einer genehmigten Wertsicherungsklausel mehrfach und erreichte Ende 1974 den Betrag von über 1.500 DM monatlich.

Carl R. verstarb am 27. März 1966 und wurde von seiner Ehefrau beerbt. Diese starb am 4. September 1973; ihre Erben sind die minderjährigen Kinder des Klägers, der zum Testamentsvollstrecker bestimmt worden ist.

Die Verwalterin des Hauses, in der das Optikergeschäft betrieben wurde, kündigte daraufhin das Mietverhältnis zum 31. März 1974. Der Kläger bemühte sich um den Abschluß eines neuen Vertrages, gegebenenfalls auch gemeinsam mit dem Beklagten als Mitmieter. Der Vermieter zog es jedoch vor, mit dem Beklagten als dem tatsächlichen Benutzer der Räume einen neuen Mietvertrag ab 1. April 1974 abzuschließen. Der Beklagte kündigte gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 28. Juni 1974 den Pachtvertrag zum Ende des Jahres 1974.

In der Folgezeit verhandelten die Parteien über eine Neugestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen, ohne jedoch zu einer Einigung zu gelangen. Der Beklagte forderte den Kläger wiederholt auf, das Warenlager, das Inventar und andere gepachtete Sachen abzuholen; dem kam der Kläger jedoch nicht nach. In der Folgezeit kam es auch zu Differenzen über die Pachtzinsberechnung für zurückliegende Zeiten. Im April 1975 klagte der Kläger einen Betrag von 18.965,13 DM nebst Zinsen an rückständigem Pachtzins ein. In dem Rechtsstreit schlossen die Parteien am 22. Oktober 1975 folgenden Vergleich:

„Der Beklagte zahlt an den Kläger zum Ausgleich der Klageforderung und aller gegenseitigen Ansprüche aus dem Pachtvertrag vom 13. Dezember 1960 9.000 DM. Der Betrag wird in der Weise entrichtet, daß zunächst der Kläger mit Zustimmung des Beklagten die Kaution nebst aufgelaufenen Zinsen von der Sparkasse H. ausgezahlt erhält und den Restbetrag (Differenz zu 9.000 DM) von dem Beklagten bar erhält.”

Der Beklagte zahlte den Restbetrag bis zur Vergleichssumme in Höhe von 1.490,91 DM an den Kläger.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 31. Oktober 1975 ließ der Kläger den Beklagten auffordern, sich dazu zu äußern, ob und zu welchen Bedingungen er die in Eigentum der Erben stehenden Einrichtungsgegenstände, Inventarstücke, das Warenlager sowie den Kundenstamm übernehmen wolle. Unter Berufung auf den Prozeßvergleich lehnte der Beklagte Ansprüche des Klägers ab. Dieser focht daraufhin mit Schriftsatz vom 13. Februar 1976 den Vergleich wegen Irrtums an. Mit Urteil vom 23. September 1976 entschied das Landgericht, daß der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 22. Oktober 1975 erledigt sei. Hiergegen legte der Kläger kein Rechtsmittel ein.

Mit der Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten Herausgabe der Kundenkartei, des Inventars, des Warenlagers und der Geschäftsräume sowie die Zustimmung zum Eintritt des Klägers in den Mietvertrag, im Falle der Unmöglichkeit der Herausgabe hilfsweise Schadensersatz. Ferner fordert er die Zahlung von Nutzungsentschädigung für die Zeit ab 1. November 1975, und zwar für die Monate November 1975 bis November 1977 47.189 DM, für die Monate Dezember 1977 bis März 1978 je 2.114 DM und April 1978 bis zur Übergabe des Geschäfts je 2.236 DM monatlich. Schließlich erstrebt er die Verurteilung des Beklagten dahingehend, daß diesem untersagt werde, Abschriften oder Ablichtungen aus der Kundenkartei zu fertigen, zu behalten oder zu gebrauchen. Demgegenüber beruft sich der Beklagte auf den geschlossenen Prozeßvergleich.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat unter Zurückweisung der Berufung des Klägers im übrigen den Beklagten verurteilt, als Ausgleich für die Weiterbenutzung der Kundenkartei an den Kläger 22.000 DM zu zahlen.

Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche, soweit sie ihm nicht zugesprochen wurden, weiter. Der Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision und erstrebt mit der Anschlußrevision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Anschlußrevision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet, die Anschlußrevision hingegen begründet.

1. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Prozeßvergleich vom 22. Oktober 1975 stehe der Geltendmachung der im vorliegenden Verfahren eingeklagten Ansprüche nicht entgegen. Der Vergleich sei nämlich, so meint das Berufungsgericht, nach § 2205 Satz 3 BGB nichtig, weil er eine unentgeltliche Verfügung des Klägers als Testamentsvollstrecker enthalte. Die materiell-rechtliche Unwirksamkeit führe auch zur Nichtigkeit des Prozeßvergleichs als Prozeßhandlung. Hierauf könne sich der Kläger trotz des im Vorverfahren ergangenen Urteils vom 23. September 1976 berufen, denn es erzeuge keine Rechtskraftwirkung gegenüber den nunmehr erhobenen Ansprüchen. Seine Rechtskraft erstrecke sich nur darauf, daß der Vorprozeß durch den Vergleich erledigt sei, nicht aber darauf, daß Ansprüche des Klägers nur noch nach Maßgabe des (nichtigen) Vergleichs bestünden.

Das Berufungsgericht billigt dem Kläger wegen der Weiterbenutzung der Kundenkartei eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 22.000 DM zu und sieht seine weiteren Ansprüche als unbegründet an.

2. Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsirrtum.

a) Das im Vorprozeß ergangene rechtskräftige Urteil vom 23. September 1976 hat nicht über die jetzige Klageforderung entschieden, sondern ausschließlich über die streiterledigende Wirkung des zuvor geschlossenen Vergleichs.

b) Zutreffend geht das Berufungsgericht indessen davon aus, daß die Klage nur dann begründet sein kann, wenn der Prozeßvergleich vom 22. Oktober 1975 unwirksam ist. Ob sich die Unwirksamkeit daraus ergeben könnte, daß der Vergleich eine unentgeltliche Verfügung des Testamentsvollstreckers enthält, kann hier dahinstehen, weil sich der Prozeßvergleich einschließlich der darin enthaltenen materiell-rechtlichen Regelung auf jeden Fall als bestandskräftig und wirksam erweist.

c) Durch das im Vorprozeß ergangene Urteil vom 23. September 1976 ist die streiterledigende Wirkung des Prozeßvergleichs rechtskräftig festgestellt worden. Dies hat auch Einfluß auf die Wirksamkeit der materiell-rechtlichen Regelung.

aa) Der Prozeßvergleich hat eine Doppelnatur, weil er sowohl eine Prozeßhandlung ist als auch ein Rechtsgeschäft im materiell-rechtlichen Sinne (BGHZ 16, 388, 390; 28, 171, 172; 41, 310, 311; Senatsurteile vom 5. Juli 1967 – VIII ZR 66/65 = NJW 1967, 2014; vom 16. Dezember 1970 – VIII ZR 85/69 = NJW 1971, 467; vom 3. November 1971 – VIII ZR 52/70 = NJW 1972, 159 = WM 1971, 1550; vom 10. Januar 1974 – III ZR 2/72 = LM ZPO § 794 Abs. 1 Ziff. 1 Nr. 21 = MDR 1974, 567; BAG 3, 43, 44; 4, 84, 85; 9, 319, 322; BAG JZ 1961, 452, 453). Daraus folgt, daß dem Vergleich die verfahrensrechtliche Wirkung der Prozeßbeendigung entzogen wird, wenn er aus sachlich-rechtlichen Gründen nichtig oder anfechtbar ist. Deshalb muß bei der Entscheidung über die Streitbeendigung die materielle Wirksamkeit des Vergleichs geprüft werden.

Hier enthält der Vergleich auch eine Regelung über den eigentlichen Streitfall hinaus über zuvor nicht rechtshängige Ansprüche. Auch in diesem Falle ergeben sich hinsichtlich der Abhängigkeit der prozessualen Wirkung von der materiell-rechtlichen Wirksamkeit keine Besonderheiten, weil auch hier davon auszugehen ist, daß die Beendigung der Rechtshängigkeit von der Wirksamkeit der streitbeendenden materiellen Regelung abhängen soll.

Die „Doppelnatur” des Prozeßvergleichs besagt nicht, daß er in eine Prozeßhandlung und in ein Rechtsgeschäft derart aufzuspalten ist, daß diese getrennt nebeneinander stehen. Vielmehr bildet der Prozeßvergleich eine Einheit mit der Folge, daß Streitigkeiten über seine Gültigkeit in materiell-rechtlicher und prozessualer Sicht einheitlich zu beurteilen sind (BAG JZ 1961, 452, 453). Die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung bot nur Anlaß, die Abhängigkeit der prozessualen Wirkung des Prozeßvergleichs von der Wirksamkeit der materiellen Regelung herauszustellen. Jedoch besteht eine gegenseitige Abhängigkeit.

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, daß die auf materielle Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit eines Prozeßvergleichs gestützte Unwirksamkeit nur in dem Prozeß geltend gemacht werden kann, in welchem der Vergleich geschlossen worden ist (vgl. die oben unter aa) zitierten BGH-Urteile). Ist dieser Streit durch rechtskräftiges Urteil dahin entschieden, daß der Rechtsstreit wirksam beendet ist, so ist damit auch die in ihm enthaltene materiell-rechtliche Regelung unangreifbar geworden. Ob ein solches Urteil auch die rechtskräftige Feststellung (§ 322 ZPO) der materiellen Wirksamkeit des Vergleichs enthält, kann dahingestellt bleiben.

Nachdem durch das Urteil vom 23. September 1976 zwischen den Parteien rechtskräftig festgestellt ist, daß der Vergleich den Prozeß erledigt hat, kann der Kläger daher die in ihm enthaltene materielle Regelung nicht mehr in Frage stellen.

bb) Das Gericht des Vorprozesses hat seine Entscheidung vom 23. September 1976 darauf gestützt, daß der Kläger kein Recht zur Anfechtung hatte. Hierbei hat es jedoch denselben Vortrag des Klägers, aus dem er nunmehr die Unwirksamkeit des Vergleichs gemäß § 2205 Satz 3 BGB herleiten will, nämlich das Verkennen der tatsächlichen wirtschaftlichen Tragweite, gewürdigt, wenn auch nur unter dem Gesichtspunkt der Anfechtung. Entscheidend ist, daß es aus dem unverändert gebliebenen Vortrag des Klägers nicht die Unwirksamkeit des Vergleichs hergeleitet hat. Wie zu entscheiden wäre, wenn der Kläger neue Tatsachen zur Begründung der materiell-rechtlichen Unwirksamkeit des Vergleichs vorgetragen hätte, kann hierbei dahinstehen.

3. Danach kommt es nur noch darauf an, ob durch den Vergleich die im vorliegenden Prozeß geltend gemachten Ansprüche erledigt worden sind. Das hat das Berufungsgericht mit zutreffender Begründung bejaht. Die im Vergleich gewählte Formulierung ist eindeutig und nicht auslegungsfähig. Nach ihr haben die Parteien alle Ansprüche, die sich aus dem Pachtverhältnis ergeben konnten, erledigen wollen und erledigt.

4. Nach allem stehen infolge des den Prozeßvergleich bestätigenden Urteils vom 23. September 1976 dem Kläger gegen den Beklagten keine Ansprüche mehr zu. Das Landgericht hat demnach zu Recht die Klage abgewiesen, so daß sein Urteil unter Zurückweisung der Revision des Klägers auf die Anschlußrevision des Beklagten wiederherzustellen war.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 97 ZPO,

 

Unterschriften

Braxmaier, Hoffmann, Wolf, Merz, Treier

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502291

BGHZ

BGHZ, 71

NJW 1981, 823

JR 1981, 248

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