Änderungen im Überblick:

  • Norm: § 141 Abs. 3 S. 4 StPO
  • Sachlicher Geltungsbereich: Richterliche Vernehmungen des Beschuldigten, von Zeugen und Sachverständigen
  • Verteidigerstrategie: ggf. Beweisverwertungsverbot

1. Allgemeines

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren kam nach den bislang in der StPO nur enthaltenen Regelungen in § 141 Abs. 3 S. 2 und 3 StPO – mit Ausnahme der U-Haft-Fälle gem. §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 3 S. 4 StPO – (nur) in Betracht, wenn die Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag stellte. An dieser Stelle hat das Gesetz eine für die Praxis wesentliche Neuregelung im Recht der Pflichtverteidigung gebracht. Eingefügt worden ist nämlich § 141 Abs. 3 S. 4 StPO (eingehend dazu bereits Schlothauer StV 2017, 557 ff.; Burhoff, StPO 2017, Rn 106 ff.; grds. positiv BRAK Stellungnahme 17/17, S. 5): Danach bestellt das Gericht, bei dem eine richterliche Vernehmung durchzuführen ist, dem Beschuldigten einen Verteidiger, wenn die Staatsanwaltschaft dies beantragt oder wenn die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint.

2. Anwendungsbereich

a) Ermittlungsverfahren

Liegen die Voraussetzungen des § 141 Abs. 3 S. 4 StPO vor (vgl. dazu V. 3.), ist das Gericht, bei dem die Vernehmung durchzuführen ist, von Amts wegen verpflichtet, dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Von § 141 Abs. 3 S. 4 StPO erfasst werden dem Wortlaut nach alle richterlichen Vernehmungen. Die Gesetzesbegründung geht allerdings davon aus, dass die Vorschrift vom zeitlichen Umfang her auf richterliche Vernehmungen im Ermittlungsverfahren beschränkt ist (vgl. BT-Drucks 18/11277, S. 28). Das ergibt sich aber so nicht aus dem Wortlaut (zutreffend Schlothauer StV 2017, 557; Burhoff, StPO 2017, Rn 110 ff.).

Die Vorschrift erfasst also auch richterliche Vernehmungen in anderen Verfahrensabschnitten. Das gilt aber nicht für die Vernehmung des Beschuldigten oder eines Zeugen/Sachverständigen in der Hauptverhandlung, bei der es sich immer auch um eine richterliche Vernehmung handelt. Anderenfalls würde die Neuregelung zu einer Erweiterung der Bestellung eines Pflichtverteidigers über die Gründe des § 140 StPO hinaus führen. Das würde jedoch dem erkennbaren Sinn und Zweck der Erweiterung, der Formulierung der Gesetzesbegründung und deren Gesamtzusammenhang widersprechen.

b) Richterliche Vernehmungen

Im Übrigen ist der Anwendungsbereich des § 141 Abs. 3 S. 4 StPO nicht beschränkt. Erfasst werden insbesondere nicht nur richterliche Zeugen- und Sachverständigenvernehmungen, sondern auch (alle) Beschuldigtenvernehmungen. Die Vorschrift gilt also generell für richterliche Vernehmungen jeglicher Art (BT-Drucks 18/11277, S. 28; Schlothauer StV 2017, 557, 558; vgl. die Aufzählung der Fälle bei Burhoff, StPO 2017, Rn 113.

c) U-Haft-Fälle

§ 141 Abs. 3 S. 4 StPO erfasst auch diejenigen Fälle, in denen ein Beschuldigter nach vorläufiger Festnahme oder nach seinem Ergreifen aufgrund eines Haftbefehls zwecks Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls bzw. dessen Aufrechterhaltung richterlich zu vernehmen ist (§§ 128 Abs. 1, 115 Abs. 2, 115a Abs. 2 StPO; vgl. dazu Burhoff, EV, 4280 ff.; s. auch Schlothauer StV 2017, 557, 558 ["Hauptanwendungsbereich"]). Dass diese Fälle ausgenommen sein sollten, ergibt sich weder aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut, der ohne Einschränkung von "richterlichen Vernehmungen" spricht, noch aus der Gesetzessystematik (Schlothauer a.a.O.). Auch der Gesetzesbegründung lässt sich nichts anderes entnehmen.

Durch diese Sicht der Neuregelung wird nicht etwa § 141 Abs. 3 S. 4 a.F. StPO – jetzt S. 5 –, der die Bestellung im Fall der Vollstreckung von Haft regelt, überflüssig. Die Regelung ist weiterhin erforderlich. Denn die Bestellung nach § 141 Abs. 3 S. 4 StPO gilt nur für den Zeitraum der Vernehmung (vgl. V. 5.) und erlischt mit ihrem Ende. Das bedeutet, dass einem Beschuldigten in den Fällen, in denen im Rahmen der Vorführung ein Haftbefehl erlassen worden ist (§ 128 Abs. 2 S. 2 StPO), im Hinblick auf die nunmehr einsetzende Vollstreckung der Untersuchungshaft (§ 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO) gem. § 141 Abs. 3 S. 5 StPO unverzüglich ein Verteidiger beigeordnet werden muss.

3. Bestellungsvoraussetzungen

a) Allgemeines

Liegen die Voraussetzungen des neuen § 141 Abs. 3 S. 4 StPO vor, ist das Gericht, bei dem die Vernehmung durchzuführen ist, von Amts wegen verpflichtet, dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger beizuordnen. Die Verpflichtung besteht unabhängig von den Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 und Abs. 2 StPO.

 

Hinweis:

Das Gericht hat hinsichtlich der Bestellung kein Ermessen. Das folgt aus dem Wortlaut des § 141 Abs. 3 S. 4 StPO. Danach "bestellt" das Gericht einen Verteidiger.

Voraussetzung ist aber – ebenso wie bei der Beiordnung nach §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 3 S. 5 StPO in den U-Haft-Fällen (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn 2863) –, dass der Beschuldigte noch keinen Verteidiger hat. Hat er einen Verteidiger kann/muss dieser seine Rechte wahrnehmen. Es bedarf dann vom Sinn und Zweck der Neuregelung her nicht der Bestellung eines weiteren Verteidigers.

b) Antrag der Staatsanwaltschaft (Fall 1)

§ 1...

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