Das LG München I (Beschl. v. 14.1.2021 – 37 O 32/21) hatte über die Frage der Rechtmäßigkeit der Sperrung eines Amazon-Verkäuferkontos durch den Portalbetreiber zu entscheiden gehabt. Die Inhaberin eines Amazon-Accounts hatte gegen die Betreiberin des Portals amazon.de einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt. Das Gericht hatte der Betreiberin des Portals sodann untersagt, das in dem Beschluss bezeichnete Amazon-Verkäuferkonto der Antragstellerin zu deaktivieren, diesbezüglich Angebote von der Amazon.de-Webseite zu entfernen, Guthaben auf dem Verkäuferkonto einzubehalten oder diese Handlung durch Dritte vornehmen zu lassen. Nach Ansicht des LG München I stand der Antragstellerin ein kartellrechtlicher Anspruch nach §§ 33 Abs. 1 GWB i.V.m. 19 Abs. 2 Nr. 1 zu.

Gegen diese Entscheidung des LG München I hat die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt. Mit Urt. v. 12.5.2021 hat das LG München I seinen Beschl. v. 14.1.2021 aufgehoben und den Antrag zurückgewiesen.

"Kernpunkt" der Begründung des LG München I sind die Vorgaben der seit dem 12.7.2020 geltenden Verordnung (EU) 2019/1150 ("Platform-to-Business-Verordnung" oder kurz P2B-Verordnung).

Das LG München I hat eingangs festgestellt, dass die Verfügungsklägerin keinen Anspruch aus §§ 33 Abs. 1 Alt. 2, 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB habe. Die Verfügungsklägerin habe zwar eine marktbeherrschende Stellung der Verfügungsbeklagten hinreichend glaubhaft gemacht; ein Marktmissbrauch seitens der Verfügungsbeklagten auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt für die Erbringung von Dienstleistungen von Onlinemarktplätzen gegenüber Onlinehändlern in Deutschland sei jedoch nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden. Mit anderen Worten: Der Betreiber des Portals amazon.de hat zwar eine marktbeherrschende Stellung, es lag in dem konkreten Fall jedoch kein Marktmissbrauch vor. Insoweit führt das LG München I aus:

Zitat

"In der beanstandeten unzureichenden Begründung für die Sperrung des Händler- und Guthabenkontos liegt kein Marktmissbrauch." (Rn 71)

Zitat

"Zwar kann die Sperrung des Händlerkontos ohne angemessene Begründung einen Marktmissbrauch im Sinne einer unbilligen Behinderung nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 GWB darstellen. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls liegt ein solcher Missbrauch jedoch nicht vor." (Rn 72)

Hiernach begründet das LG München I, warum im konkreten Einzelfall die Deaktivierung des Verkäuferkontos nicht missbräuchlich gewesen sei. Die Begründung ergibt sich hiernach aus den Vorgaben der vorgenannten Verordnung (EU) 2019/1150. Nach Ansicht des Gerichtes sind deren Vorgaben bei der Interessenabwägung nach § 19 Abs. 1 GWB zu berücksichtigen. Das Gericht beruft sich insofern auf den Erwägungsgrund 7 dieser Verordnung, wonach der Zweck der Verordnung in der Sicherstellung eines fairen, vorhersehbaren, tragfähigen und vertrauenswürdigen Online-Geschäftsumfeldes im Binnenmarkt bestehe. Die EU-Verordnung verdränge die kartellrechtlichen Vorschriften des GWB nicht, sondern stehe selbstständig daneben; aufgrund dessen wären die Wertungen dieser Verordnung in der Kartellrechtsanwendung zu berücksichtigen.

An dieser Stelle ist – aus Gründen der Verständlichkeit – zunächst der Inhalt von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2019/1150 darzustellen. Art. 4 macht Vorgaben zu der Einschränkung, Aussetzung oder Beendigung der Geschäftsbeziehung seitens eines Online-Vermittlungsdienstes, wobei das LG München I den Betreiber der Plattform amazon.de als einen solchen Online-Vermittlungsdienst betrachtet. In dessen Abs. 1 ist festgelegt:

Zitat

"Beschließt ein Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten, die Bereitstellung seiner Online-Vermittlungsdienste für einen bestimmten gewerblichen Nutzer in Bezug auf einzelne von diesem gewerblichen Nutzer angebotene Waren oder Dienstleistungen einzuschränken oder auszusetzen, so übermittelt er dem betroffenen gewerblichen Nutzer vor oder gleichzeitig mit dem Wirksamwerden der Aussetzung oder Einschränkung auf einem dauerhaften Datenträger eine Begründung dieser Entscheidung."

Ferner legt Art. 5 Unterabs. 1 fest:

Zitat

"In der in den Abs. 1 und 2 und Abs. 4 Unterabs. 2 genannten Begründung gibt der Anbieter der Online-Vermittlungsdienste die konkreten Tatsachen oder Umstände, einschließlich des Inhalts der Mitteilungen Dritter, die ihn zu seiner Entscheidung bewogen haben, und die für diese Entscheidung geltenden Gründe gem. Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe c an."

Die Begründungspflicht soll – so das LG München I – dabei helfen, die Regelkonformität wiederherzustellen. Der gewerbliche Nutzer soll beurteilen können, ob er die Entscheidung mit Aussicht auf Erfolg anfechten kann.

Zu diesem Begründungs-Grundsatz hält Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 jedoch folgende Ausnahme vor:

Zitat

"Ein Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten ist nicht verpflichtet, eine Begründung abzugeben, wenn er aufgrund gesetzlicher oder behördlich angeordneter Verpflichtungen die konkreten Tatsachen oder Umstände und den zutreffenden Grund bzw. die zutreffend...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge